Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

Rerd-Amerika. (Dezember 4. —-20.) 311 
4. Dezember. (Washington.) Botschaft des Präsidenten 
Cleveland an den Kongreß. 
Sie weist auf die vollständig neutrale Haltung der Vereinigten 
Staaten gegenüber den Kämpfen in Brasilien hin. Ueber die zwischen Eng- 
land und der Union schwebenden Fragen werde in friedlichem Sinne ver- 
handelt; ebenso seien mit England Beratungen über einen neuen Ausliefe- 
rungsvertrag im Gange. Die Vereinigten Staaten hätten ein außerordent- 
liches Interesse an der Fertigstellung des Kanals von Nicaragua unter den 
Auspizien Amerikas zum Vorteil der Schiffe der gesamten Welt und im 
Interesse der Zivilisation. Das Vorgehen des amerikanischen Gesandten in 
Hawai, welcher die verfassungsmäßige Regierung gestürzt habe, sei im höchsten 
Grade zu mißbilligen. Der neue Gesandte sei beauftragt worden, den status 
dquo, soweit es möglich, wieder herzustellen. Die Botschaft warnt vor über- 
eilten, nicht ausgereiften Maßnahmen zur Regelung des Geldumlaufes und 
erklärt, das Land bedürfe in dieser Beziehung eines dauerhaften, umfassenden 
Finanzplanes. Die Botschaft legte nahe, den Präsidenten zu ermächtigen, 
jederzeit, wenn die Umstände einer Verständigung günstig seien, eine inter- 
nationale Münzkonferenz einzuberufen. Obgleich der Präsident die Politik, 
welche die Kriegsmarine bis zur Höhe der nationalen Bedürfnisse vermehren 
will, grundsätzlich billigt, hält er den Moment nicht für geeignet, für dieses 
Kapitel neue Kredite zu verlangen. Die Tarifreform müsse offenbar eine 
Ermäßigung der Eingangszölle für die notwendigsten Bedarfsartikel um- 
fassen und die Beschränkungen der Einfuhr der für die amerikanische In- 
dustrie nötigen Rohmaterialien aufheben. In der Botschaft heißt es ferner, 
daß die jüngst erfolgte Aufhebung der Sherman-Akte eine vollständige Ver- 
änderung der Währungsverhältnisse herbeigeführt habe. Der Präsident be- 
zweifelt nicht, daß die Maßregel sich schließlich als höchst heilsam erweisen 
werde, augenblicklich sei es jedoch unmöglich, festzustellen, was für Verhält- 
nisse die Veränderung hervorrufen oder welche gesetzgeberischen Maßnahmen 
sie notwendig machen würde. Nach der jüngsten geoerbichen Störung sei 
Zeit zur Wiederherstellung des geschäftlichen Vertrauens erforderlich; sobald 
das aus Furcht angehäufte Geld wieder in den Verkehr gelange, werde 
wahrscheinlich ein sicherer Weg zu einer gesunden, allen Bedürfnissen ge- 
nügenden Währung gefunden werden. Zu diesem Zwecke sei ein mäßiger 
Verzug bei der Behandlung der Frage geboten. Der Präsident empfiehlt 
die Abänderung der bestehenden Gesetze über die Ausgabe von Regierungs- 
bonds, da die bezügliche Befugnis des Schatzsekretärs nicht klar erscheine 
und die autorisierten Bonds für die Regierung nachteilig seien, sowohl wegen 
der Verfallzeit als des Zinsfußes. Die Tariffrage erheessche in erster Linie 
die Aufmerksamkeit der Regierung; nichts dürfe die Regierung davon ab- 
ziehen, bis die Reform mittelst einer weisen Gesetzgebung vollendet sei. Die 
Einnahmen der Union für das nächste Verwalzlurgsjahr werden auf 430, 
die Ausgaben auf 458 Millionen geschätzt. 
20. Dezember. (Washington.) Der Jahresbericht des Schatz- 
sekretärs Carlisle wird dem Kongreß unterbreitet. In demselben 
wird ausgeführt, daß, obgleich die schlimmsten Wirkungen der finan- 
ziellen Störungen und des Geschäftsdruckes vorüber seien, sei ein 
überschuß der Einnahmen über die Ausgaben für den Rest des 
Finanzjahres nicht zu erwarten, weshalb das Defizit mit 28 Mill. 
Dollars veranschlagt sei. Zur Deckung dieses Defizits schlägt der 
  
  
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.