26 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 16.)
wie in Abgeordnetenkreisen mit aller Bestimmtheit erzählt wird, auf direkte
Einwirkung des Finanzministers Miquel hin. Obschon diesem nach dem
Gange, den die Kommissionsberatungen über die Sleuergesetzentwürfe ge-
nommen, zugesichert werden konnte, daß die Vorlagen von den Konservativen,
Freikonservativen und Nationalliberalen, also mit einer ganz überwiegenden
Mehrheit nach der Kommissionsfassung angenommen werden würden, zog er
es vor, das Wahlgesetz gegen die gemäßigten Parteien des Hauses zu ge-
stalten. So ist es gekommen, daß Konservative und Zentrum das bei dem
Schulgesetz begonnene Verbrüderungsfest fortgesetzt haben, diesmal mit besserm
Erfolg als damals. Wem wir nun in den Städten der Rheinprovinz, West-
falens und Schlesiens die spätere Herrschaft der Ultramontanen verdanken
werden, ist nach diesem Vorkommnis leicht zu ergründen. Wir haben in
der Rheinprovinz wohl ein Recht, nähere Aufklärung über diese höchst selt-
samen Vorgänge zu verlangen. Hält der Finanzminister Dr. Miquel an
diesem Standpunkt fest, setzt er seinen Einfluß durch, um diese Beschlüsse
zum Gesetz zu erheben, so würde es ein einfaches Gebot der Selbstachtung
sein, daß die Mittelparteien dieses Vorgehen mit dem Rufe beantworten
„Hinweg mit ihm!“ Die Nationalliberalen müßten ihre Stellung zur
preußischen Regierung einer Revision unterziehen, wenn die preußische Regie-
rung zu dieser rohen Vergewaltigung ihre Zustimmung gäbe. Es wird
Sache der Abgeordneten sein, durch eine scharfe Tonart dies der Regierung
zum Bewußtsein zu bringen. Zwischen der Reichspolitik und der Regie-
rungspolitik würde dadurch ein Gegensatz geschaffen, der geradezu unhaltbar
ist. Man kann nicht in Preußen aus Liebe zu der ultramontanen Mode-
farbe die Mittelparteien mit ausgesuchtem Raffinement vor den Kopf stoßen,
während man im Reich die Mittelparteien und die Konservativen zum Kampf
für die Militärvorlage und gegen das Zentrum anruft. Hier zeigt sich,
daß die höheren Interessen, welche der Reichskanzler Graf Caprivi zu ver-
treten hat, in einem unversöhnlichen Widerspruch zu den Machenschaften
stehen, die von unterrichteten Kreisen dem Finanzminister Dr. Miquel zu-
geschrieben werden.
16. März. (Reichstag.) In der Militär-Kommission
werden bei der zweiten Lesung die Anträge der Abgg. v. Bennigsen
und Dr. Lieber überreicht.
Abg. von Bennigsen beantragt 1. in § 1 der Militärvorlage die
Friedenspräsenzstärke statt auf 492,068 Mann auf 462,000 Mann festzu-
setzen. 2. In § 1 den Satz: „Dieser Durchschnittsstärke liegt die Voraus-
setzung zu Grunde, daß die Mannschaften der Fuß-Truppen im allgemeinen
zu einem zweijährigen aktiven Dienst bei der Fahne herangezogen werden,“
zu streichen und dafür am Schluß des Paragraphen folgenden Satz anzu-
fügen: „Die Mannschaften der Fußtruppen gehören dem stehenden Heere bei
Fahne zwei Jahre und in der Reserve fünf Jahre an. Diese Bestimmung
bleibt in Kraft, solange die Friedenspräsenzstärke nicht unter die im Abs. 1
bezeichnete Zahl herabgesetzt wird. 3. Im § 2 statt 477 Eskadrons zu
setzen: 465 Eskadrons; statt 37 Bataillone Feldartillerie: 31 Bataillone und
statt 24 Bataillone: 20 Bataillone. 4. Am Schlusse des § 2 folgenden
Satz anzufügen: „Die unter den 711 Bataillonen befindlichen Bataillons-
stämme werden nur solange formiert, als der aktive Dienst bei der Fahne
für Mannschaften der Fußtruppen auf zwei Jahre festgesetzt ist.“ 5. Folgen-
den § 2a. einzuschalten: „Die Militärverwaltung ist befugt, in der Zeit
vom 1. Oktober 1893 bis dahin 1894 einen Teil der Mannschaften des
dritten Jahrganges der Fußtruppen bei der Fahne zurückzubehalten.“