Nebersicht der yolitischen Gutwinselung des Jahres 1893. 367
Frankreich will es nicht dulden, daß der Kongostaat sich im Nil-
thale festsetzt; es beansprucht, um einen sicheren Zugang nach dem
Sudan zu gewinnen, das bereits von dem Kongostaate besetzte
Ubangibecken, so daß ernste Konflikte im neuen Jahr bevorstehen.
Die beiden Reiche der skandinavischen Halbinsel, die wir nach Schwe-
einem Bericht der Köln. Zeitung schildern, pflegen vermöge ihrer Nor-
geographischen Lage sich sonst im europäischen Konzert wenig be= wegen.
merkbar zu machen, erregen aber in neuester Zeit die Aufmerksam-
keit Europas durch eine heftige Fehde, die das zwischen ihnen be-
stehende leidliche Verhältnis in ernster Weise erschüttert hat und
in deren letztem Schluß es sich um Sein oder Nichtsein der schwe-
disch-norwegischen Union handeln könnte. Wenn es seit Bestehen
dieser Union, deren Zustandekommen durch die Politik des Jahres
1812 vorbereitet worden, in Norwegen auch nicht an Streitfragen
gefehlt hat, bei denen der Groll der Norweger gegen Schweden sich
deutlich zeigte, so find die auf Lockerung oder Lösung des Verbandes
mit Schweden gerichteten Bestrebungen der norwegischen Radikalen
doch noch nie so unverhüllt und entschieden zu Tage getreten wie
gerade in dem jüngstverflossenen Jahre. Schon ist die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen, daß sich der Hader zwischen den beiden Ländern
zu einer europäischen Frage ausgestaltet.
Innerhalb des Unionsverhältnisses mit Schweden nimmt Nor-
wegen infolge seiner Verfassung eine Stellung ein, die es fast zu
einem selbständigen Staate macht. In der Gesetzgebung Norwegens
hat der König nur ein aufschiebendes Veto; denn wenn die gesetz-
gebende Körperschaft, das Storthing, in drei aufeinander folgenden
Storthings-Perioden (deren jede drei Jahre währt) einen vom König
nicht genehmigten Gesetzvorschlag annimmt, so erhält dieser auch
ohne Zustimmung des Königs Gesetzeskraft. Und der norwegischen
Regierung gegenüber hat das Storthing ein sehr weitreichendes
Machtmittel in dem Reichsgericht, vor dem die Mitglieder der Regie-
rung unter Anklage gestellt werden können, wenn sie gegen das In-
teresse des Landes verstoßen. Das Grundgesetz bestimmt darüber,
daß jeder, der im Staatsrat Sitz hat, verpflichtet ist, freimütig seine
Meinung zu sagen, die der König anzuhören verbunden ist. Letzterem
steht es nun frei, nach eigenem Ermessen einen Beschluß zu fassen;