106 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 15.)
Alpen, ein Symbol unserer Zusammengehörigkeit. Man kann wohl sagen,
die Farben kleiden sich gegenseitig und sie passen zusammen. (Rufe: Heil !)
Unter allen Auszeichnungen, die mir an meinem 80. Wiegenfest erwiesen
wurden, schätze ich diese ganz besonders wegen ihrer geschichtlichen Bedeutung;
ich schätze sie um so höher, als dieser Besuch sich anschließt an eine huld-
reiche Begrüßung, mit der Se. Majestät Ihr Landesherr mich beehrt hat.
Darin und in Ihrem Besuch vergegenwärtigt sich mir die Erinnerung an
die Zeit — ich glaube, es war vor 16 Jahren, als ich von Gastein über
Linz nach Wien fuhr, nur durch deutsches Land und deutsche Bevölkerung
— als ich in Wien ankam — aber meine Herren wollen Sie nicht auf-
setzen, es ist ein rauher Wind hier im Norden — wo ich mit einer Herz-
lichkeit empfangen wurde, die mich befestigte in dem Gedanken, daß wir
irgend einen Ersatz für die alten Beziehungen der Bundesgenossenschaft, die
uns verbunden hatte, herstellen mußten trotz aller Hindernisse, die sich da-
gegen auftürmten. Unsere Zusammengehörigkeit ist ja, wie der erste Herr
Redner bemerkte, älter wie ein Jahrtausend und reicht bis in die Sagen-
zeit zurück, aber auch die weitergehenden Konsequenzen des Bündnisses, das
wir vor 16 Jahren in Wien abgeschlossen; der Dreibund reicht in seinen
Ursprüngen doch fast auf dieselbe Zeit zurück. Die alte deutsche Kaiser=
herrschaft des heiligen römischen Reiches erstreckte sich ja von der Nordsee
bis nach Apulien und theoretisch gehörte ganz Italien dazu — thatsächlich
nicht immer — die Kämpfe in dieser großen Gemeinschaft blieben uns
nicht erspart. Es ist eine eigentümliche Fügung des Schicksals und der
göttlichen Vorsehung, daß dieses große gewaltige Gebiet von ganz Zentral-
europa, das ich eben bezeichnete, sich, nachdem es durch Schicksalsfügungen
und viele Kämpfe getrennt und zerrissen war, doch schließlich heut zu Tage
wieder zusammen gefunden hat. Unser Dreibund deckt ungefähr die alte
anspruchsvolle Kaiserherrschaft der Nachfolger Karls des Großen nach Aus-
sonderung von Gallien, unserem heutigen Frankreich; daß in dieser Ver-
bindung ein Beweis von imponderabeln Verbänden und Beziehungen dieser
ganzen großen Ländermasse gegeben ist, ist meine Ueberzeugung. — Ich
muß es den Geschichtslehrern überlassen, sie zu vertreten, wenn sie sie mit
mir theilen. Ich glaube wir werden dauernd zusammengehören und zu-
sammenbleiben können mit mehr Dauer, als wir früher in Frieden mit
einander gelebt haben. Wenn wir zurückblicken auf die innere Geschichte
dieser großen Ländermasse, welche das alte angeblich heilige römische Reich
(Heiterkeit) in sich vereinigte, so finden wir doch kein Jahrhundert ohne
die schwersten Kämpfe der Reichsangehörigen untereinander. Aber wir
müssen uns dadurch nicht entmutigen lassen, denn dieselbe Erscheinung fehlt
in keinem der anderen europäischen Länder, auch in denjenigen nicht, die
durch eine von Haus aus einheitliche Nationalität auf inneren Frieden viel
mehr angewiesen waren wie dieses Mosaik von Zusammensetzung, was das
alte deutsche Reich war. — Sehen Sie nach England, wie es im Mittel-
alter von Bürgerkriegen erfüllt war. Sie haben im vorigen Jahr-
hundert mit der Schlacht von Culloden ein Ende gefunden und der innere
Frieden ist doch im heutigen England auch noch nicht vorhanden. Sehen
Sie nach Frankreich — eine scharf und leidenschaftlich entwickelte, einheit-
liche Nationalität; — wir haben die letzten Bürgerkriege noch selbst vor
25 Jahren vor Paris mit ansehen können; Gott gebe, daß es die letzten
seien. Sehen wir nach Spanien — eine stolze einheitliche Nationalität —
die innern Kriege hören nicht auf. Italien an sich ist davon nicht frei
gewesen. Ich will die Beispiele nicht weiter ausdehnen, ich will nur daraus
deduzieren, daß wir Deutsche doch darum nicht an unserer einheitlichen
Zukunft verzweifeln müssen, weil wir uns mitunter im Laufe der letzten