Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 21.) 111
Die Ansprache des Oberbürgermeisters von Stuttgart beantwortet er:
„Ich danke Ihnen, meine Herren, daß Sie aus so weiter Ferne
hergekommen sind, um mir die Wünsche meiner Mitbürger zu überbringen.
Ich habe im Anschluß an die Worte des Herrn Oberbürgermeisters und
in Bestätigung derselben zu erwidern, daß ich stets ein Gegner unitarischer
Tendenzen gewesen bin, wie sie im Schoße des Reichstages in der Form
von Anträgen auf Schaffung von Reichsministerien zu Tage getreten sind,
Anträge, durch welche die Institution des Bundesrates einfach negiert
worden wäre. Ich habe die berechtigten Eigentümlichkeiten der Stämme
des deutschen Vaterlandes stets voll anerkannt und mein Bestreben war
darauf gerichtet, die in der Reichsverfassung garantierte bundesstaatliche
Entwicklung zu stärken; noch heute bin ich der Ansicht, daß dies notwendig
sei, und möchte, daß die Landtage an der Thätigkeit ihrer Bundesrats-
Bevollmächtigten Kritik üben und sie für ihre Abstimmung verantwortlich
machen, ohne daß damit gesagt werden soll, daß die Landtage befugt wären,
in die Reichspolitik beschließend einzugreifen, ebensowenig wie die Städte
in die Thätigkeit der Landtage. Im Kriege von 1870/71 war es mir eine
besondere Freude, zu sehen, wie die württembergischen Truppen mit kalter
Ruhe im Feuer Stand gehalten haben, mit einer Kaltblütigkeit, die man
sonst nicht geneigt wäre, zu den charakteristischen Eigenschaften der die
Reichssturmfahne tragenden Schwaben zu zählen. Es hat mir besonders
wohlgethan, von Ihnen zu hören, daß Seine Majestät König Wilhelm von
Württemberg mich durch Seine Teilnahme an Ihrer städtischen Feier ge-
ehrt hat, und Ihnen, meine Herren, danke ich für die an mich gerichteten
liebenswürdigen Worte.“
21. April. (Friedrichsruh.) Fürst Bismarck empfängt
eine Deputation alter Burschenschafter und eine Abordnung aus
Anhalt.
Den Burschenschaftern hält er folgende Ansprache: „Meine Herren!
Ich bin sehr dankbar, daß Sie von Ihren verschiedenen Wohnorten, an die
Sie aus der Univerfität nachher das Leben geführt hat, sich zusammen-
gefunden haben, um mich zu begrüßen und mir damit das Zeugnis aus-
zustellen, daß wir an demselben Ziele gearbeitet haben, Sie dafür verfolgt,
ich dafür belohnt. Es liegt der ganze Unterschied nur in den Mitteln,
nicht in den Zielen; Republikaner find die ersten Burschenschafter kaum ge-
wesen, vielleicht Imperialisten, sie waren kaiserlich-national und einzelne
Auswüchse hat das ja immer. Die gebildete Bevölkerung Deutschlands be-
wahrte den burschenschaftlichen Bestrebungen selbst nach der Ermordung von
Kotzebue und nach den amtlichen Verfolgungen immer noch ihre Sympathie,
nicht so lebhaft, nicht so unabhängig, nicht mit denselben Mitteln wie
später und wie heute.
Von den Mitteln, die der Burschenschaft zur Verfügung standen,
um ihre Ziele zu verwirklichen, wurde irrtümlich angenommen, die sofortige
Inswerksetzung könnte den Klotz, unter dem wir lebten — das Gebirge,
will ich lieber sagen, unter dem wir lebten — irgendwie rühren und er-
schüttern. Das ist im Grunde doch auch 40 Jahre später — soviel war
es ja ungefähr, nein, nicht ganz — im Frankfurter Parlament auch wieder
zu Tage gekommen. Die Redner von Frankfurt vergriffen sich in den
Mitteln, mit denen die Sache gemacht werden konnte, d. h. mit denen das
nationale Ziel, welches der Mehrheit der Gebildeten als erreichenswert vor-
schwebte, wenn nicht sofort, so doch in kurzer Zeit erreicht werden konnte.
Sie wandten sich an die Denker; sie glaubten mit Reden und öffentlicher