112 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 19.)
Meinung ließe sich alles machen und bestätigten das alte Sprichwort:
„Leicht bei einander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen
sich die Dinge!“ Was sich hart stieß, war die Militärmacht, die fürstliche
Macht.
Ich bin bei der ersten Berührung mit der Burschenschaft, wie ich
zur Universität kam, von dem Vorurteil der Korpsburschen im Allgemeinen
geleitet gewesen. Außerdem war es Zufall, daß ich gerade mit Burschen-
schaftern in Berührung kam, die den gesellschaftlichen Schliff nicht hatten,
den ich von Berlin her gewohnt war, und daher kam meine Abneigung,
obschon ich schon damals national-deutschen Glauben hatte und an deutsche
Einheit glaubte, und die Wette einging, daß fie in 20 Jahren geschaffen
sein würde — es war Anno 1832 — was nicht ganz zutraf; aber es
widerstrebte mir doch das persönliche Material, möchte ich sagen, der da-
maligen Burschenschaft. Sehr viel trug dabei auch die altertümliche Tra-
dition der Mensur bei, sie schlugen sich damals nicht, die Burschenschafter,
jetzt thun sie es. Es ist das auch nicht nötig; ich denke heutzutage ruhiger
über diese Dinge, aber die Aeußerlichkeiten sind es, glaube ich, vorzugs-
weise gewesen, die mich, wie ich mit 17 Jahren nach Gottingen kam, davor
behütet haben, mit ihnen in nähere Beziehung zu kommen. Der Eingang
zu der politischen Situation oder vielmehr die Führer, die ich dazu finden
konnte, mißfielen mir persönlich. Ich war von den Berliner Gymnafien
mit nationaler Gesinnung, ja ich muß sogar sagen, mit ziemlich republika-
nischer abgegangen —. Friedrich-Gymnasium und Graues Kloster — ohne
daß irgend eine Absichtlichkeit im Unterichtsplan dahin zugespitzt war, aber
in uns jungen Leuten wirkte der ganze Strom, den wir aufnahmen, dahin,
daß wir für Harmodius und Aristogiton eine gewisse Sympathie übrig
behielten und es schwer verständlich fanden, warum so viele Leute einem
gehorchten, wenn er ihren Wünschen und ihrer Geschmacksrichtung als
Herrscher nicht entsprach.
Ich bin erst als Beamter, als Diplomat zum Nachdenken über die
Mittel gekommen, zum Nachdenken wohl früher, aber zum erfolgreichen
Nachdenken, womit man dem deutschen Ziele näher treten könnte, und da
ist mir in der Frankfurter Zeit einleuchtend gewesen: wenn die preußische
Armee nicht für die Sache in Thätigkeit gesetzt werden kann, so schlägt sie
nicht durch. Das war das stärkste Element, was wir hatten, und die Armee
geht natürlich mit ihrem Könige. Ich mußte also den König von Preußen
für die Sache gewinnen, so lange ich den nicht hatte als Mitstreiter, ich
will den Standpunkt der Burschenschaft einnehmen, so standen die Mittel
nicht im Verhältnis zum Zweck. Das aber ist allmählich und mit Vorsficht
gelungen. Ohne den alten Herrn und seine eigentümliche Natur, seine
Festigkeit und Zuverlässigkeit, seine Offenheit und Ehrlichkeit hätte Minister
sein konnen, wer wollte, er hätte nie die Ziele erreicht, an denen wir uns
heute befinden. Ich will nicht sagen, daß sie ideal sind, aber wir find doch
in den Zustand gekommen, sie unseren Idealen näher zu bringen, ein natio-
nales Leben zu führen, was des Lebens wert ist. Und so weit find wir
doch heut zutage, das zeigt mir an meinem Lebensabend diese weitverbreitete
Sympathie, die sich mir zu erkennen gibt und die doch natürlich der Sache
gilt, der ich gedient habe und dem alten Kaiser, dem ich gedient habe oder
doch dem Ergebnis unserer gemeinschaftlichen Politik und mir macht es
eine hohe Freude, die Herren im reiferen Alter hier zu sehen und mit
ihnen zurückzublicken auf die Irrwege, die wir, der Einzelne und die Ge-
samtheit, gegangen find und auf das Zusammenfinden doch schließlich in
einem Wirtshause, wo es einstweilen wohnlich ist. Wir müssen es erhalten
und die Wohnlichkeit pflegen.“