Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 22.—23.) 113
Den Anhaltern erwidert er u. a.: Wenn es in ganz Deutschland irgend
ein Land oder Ländchen gibt, was in sich die Elemente trug, sich in Par-
tikularismus einzuwachsen, einzuleben und einzuspinnen, so war es das
Anhalter Land, ein wohlhabendes Land durch und durch, zufrieden mit
seinen Verhältnissen und in den Beziehungen zu Preußen, von dem es
ringsum eingeschlossen war, seit langer Zeit durch die Zollgrenzen nicht
weiter geängstigt, wohlhäbig mit der angestammten uralten Dynastie, mit
der Sie im Ganzen doch im guten Einvernehmen waren — kurz für das
eigentliche Treibhausbeet des Partikularismus war in Anhalt alles vor-
handen. Was haben Sie gewonnen durch Herstellung des Reiches? Eine
Gefährdung einer Menge häuslicher Annehmlichkeiten, und doch sind Sie
zufrieden; es muß also noch etwas Ideales geben, was über diese Sache
hinausgeht, und das ist das deutsch-nationale Gefühl, was auch in dem
bestsituierten, wohllebigsten, partikularistischen Staate doch Gott sei Dank
stets unter der Asche geglüht hat und, wie der Wind Feuer in den Heerd
bläst, aufgeflammt ist. — — — — — — — Wenn uns manche Gesetze
nicht gefallen, müssen wir Hand anlegen, um sie zu verbessern; es schimpfen
alle über das Klebegesetz, aber ich sehe keinen Antrag, es zu bessern; ich
habe es nicht so gemacht wie es ist, ich habe erstrebt, daß die Arbeiter
überhaupt nicht beitragen sollen — die Leute proklamierten, daß ich das
Tabaksmonopol als patrimonium pauperis, als Unterlage für die Alters-
versicherung, benutzen wollte, von Arbeiterbeiträgen war dabei nicht die
Rede. Das fand keinen Anklang; nachher wurde die Sache neu eingebracht,
sie fiel in die Räder der Geheimratsmaschine und kam anders wieder zum
Vorschein und schließlich — ich glaube 7—8 Jahre, nachdem ich die Sache
angeregt hatte — kam der parlamentarische und geheimrätliche Wechselbalg
wieder aus der Maschine heraus. Da wurde ich gefragt: willst Du das
oder willst Du nichts? Und da habe ich gesagt: ich will lieber dieses wie
gar nichts, wenn man überhaupt die Sache fallen läßt, dann geht es wie
mit dem Sozialistengesetz, wenn man das ablehnt, wie es die konservative
Partei gethan hat, weil es nicht vollkommen genug ist, dann hat man
gar keins.
22.|23. April. (Halle a. S.) Deutscher Handwerkertag.
Die von 620 Delegierten, welche 900 Korporationen vertreten, be-
suchte Versammlung fordert in mehreren Resolutionen die Einführung von
Zwangsinnungen und Befähigungsnachweis, Beschränkung der Militär-
werkstätten= und Gefängnisarbeit, die Bekämpfung der Konsum= insbesondere
Offizier= und Beamten-Vereine. Die Einführung des Maximalarbeitstages
wird abgelehnt, ebenso die vorgeschlagene Bildung einer Mittelstandspartei
als politische Vertretung des Handwerks.
23. April. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Gesetzentwurf,
betr. die Errichtung einer Generalkommission für Ostpreußen.
Thätigkeit der Generalkommissionen.
Im Laufe der Debatte macht Geh. Rat Sachs folgende Mitteilungen
über die Thätigkeit der Generalkommissionen: Bisher nd 3593 Renten-
güter gebildet, davon find 1731 über 30 Morgen groß, also 48 Prozent.
Von dem Rest müssen zunächst die sogenannten Adjacenten-Güter, die Zu-
käufe, abgezogen werden. Das find 726, bleiben somit 1136 Güter, die
unter 30 Morgen groß sind. Diese verteilen sich folgendermaßen: unter
2½ ha sind 173, von 2⅛ bis 5 ha sind 488 und von 5 bis 7½ ha sind
475 Güter. Der Thätigkeit der Generalkommission in Bromberg im be-
sondern sind im ganzen 2548 Rentengüter zu verdanken, 50 Prozent davon
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXVI. 8