Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 25. —27.) 119 
Enn die Vorlage erklärt sich auch der württembergische Landtag. 
( 4. Mai.) 
25./27. April. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Dritte Be- 
ratung des Gesetzentwurfs eines preußischen Gerichtskostengesetzes 
in Verbindung mit der Gebührenordnung für Notare. 
Abg. Knebel (nl.): Die Vorlage bringe eine erhebliche Erhöhung 
der Kosten mit sich, insbesondere für mittlere und kleinere Objekte. Justiz- 
minister Schönstedt wendet sich gegen die Bedenken des Abg. Knebel und 
hierauf wird das Gerichtskostengesetz mit großer Mehrheit angenommen, 
der Gesetzentwurf über die Gebührenordnung einstimmig (27. April, An- 
nahme im Herrenhause 17. Mai). 
26./27. April. (Reichstag.) Erste Beratung der Novelle 
zum Branntweinsteuergesetz von 1887. Statistisches über die land- 
wirtschaftliche Bedeutung der Brennerei. 
Staatssekretär Graf v. Posadowsky: Die Regierung habe nicht zum 
Fabrikatsteuersystem übergehen können, weil dann die Branntweinbrennerei 
einfach aufhören würde, ein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb zu sein. Der 
Zweck der jetzt gemachten Vorschläge sei ein agrarischer, um dem Brannt- 
weingewerbe zu Hilfe zu kommen. Die Vorlage enthalte zwei wesentliche 
steuerfiskalische Bestimmungen, eine Brennsteuer und eine Ausfuhrentschädi- 
gung. Ueber die Bedeutung des landwirtschaftlichen Brennereigewerbes 
für den Kartoffelbau sagt der Redner: Während bei uns der Kartoffelbau 
relativ zurückgegangen ist, ist er in den Ländern, die dem landwirtschaft- 
lichen Branntweingewerbe eine kräftigere Förderung haben zu Teil werden 
lassen wie wir in Deutschland, sehr wesentlich gestiegen. Es hat in Frank- 
reich in den Jahren 1881 bis 1893 die mit Kartoffeln bebaute Fläche — 
also während bei uns eine Abnahme von 4,5 Prozent vorhanden war — 
um 10,4 Prozent zugenommen, in Oesterreich 1882 bis 1892 um 4,3 Prozent, 
in Ungarn 1883 bis 1892 um 4,5 Prozent und in Rußland 1880 bis 1893 
um mehr als 15 Prozent. In dieser Zunahme der mit Kartoffeln bestellten 
Fläche kommt aber ganz klar das Maß der Förderung zum Ausdruck, was 
man dem Branntweingewerbe in den einzelnen Staaten hat zu Teil werden 
lassen. Ich gestatte mir, hervorzuheben, daß von 1878 bis 1883 bei uns 
die Zunahme 5,4 Prozent betragen hat. Würde in den 10 Jahren 1883 
bis 1893 eine Zunahme in gleicher Progression erfolgt sein, so hätte die- 
selbe 10,8 Prozent betragen müssen und wir würden im Jahre 1894 184000 
Hektar mehr mit Kartoffeln in Deutschland bestellt haben, oder mit anderen 
Worten: es würden etwa 1 ½ Millionen Tonnen Kartoffeln mehr in Deutsch- 
land geerntet sein. Diesem Zurückbleiben der Kartoffelproduktion steht 
gegenüber ein Minderverbrauch in den Brennereien, welcher sich beim Ver- 
gleich der 5jährigen Periode 1881 bis 86 und der 5jährigen Periode 1887 
bis 92 auf rund 956 000 Tonnen beläuft. Ich glaube, der Rückschluß ist 
kein gewagter, daß mit der Beschränkung des Kartoffelverbrauchs in den 
Brennereien, mit dem Rückgang des in den Brennereien hergestellten Quan- 
tums Spiritus, auch ein Rückgang der mit Kartoffeln angebauten Fläche 
überhaupt Hand in Hand gegangen ist. Ohne Rückgang des Konsums von 
Kartoffeln in unseren Brennereien würden wir etwa 113 000 bis 114 000 
Hektare mehr für Brennereizwecke mit Kartoffeln bestellt haben.. Ein 
mit Kartoffeln angebautes Hektar erfordert nach dieser Quelle etwa 72 
Arbeitstage, mit Sommergetreide angebaut etwa 16 Arbeitstage. Es würde 
deshalb für die Kultur der 113000 Hektar weniger angebauten Kartoffeln
	        
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