120 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 27.)
etwa eine Summe von 6 300 000 Arbeitstagen notwendig sein, oder, mit
anderen Worten, das Arbeitsjahr zu 300 Tagen gerechnet, sind in Folge
der Beschränkung des Kartoffelbaues durch das Gesetz von 1887 etwa 21000
Arbeitskräfte auf dem Lande verfügbar geworden.
Abg. Spahn (3.): Das Zentrum stehe der Vorlage mit Wohl-
wollen gegenüber, werde aber in der Kommission die Bestimmungen über
die Kontingentierung und die Brennsteuer näher prüfen.
Abg. Wurm (Soz.) will keine Bevorzugung der landwirtschaftlichen
Brennereien und keine Exportprämien; die Mehrbelastung des Branntweins
trage das Volk und nicht die Brenner; seine Partei lehne die Vorlage ab.
Abg. Gamp (Rp.): Das Branntweinsteuergesetz von 1887 habe einen
Konsumrückgang von 27 Prozent herbeigeführt; es sei anzuerkennen, daß
man der notleidenden landwirtschaftlichen Brennerei jetzt entgegenkommen
wolle, obwohl er gegen die Brennsteuer große Bedenken habe.
Am folgenden Tage spricht Abg. Richter (frs. Vp.) gegen die Vor-
lage: Der Ertrag der Branntweinsteuer werde durch dieses Gesetz in Frage
gestellt; das Reich verzichte auf Einnahmen zu Gunsten der Brenner. Man
könne jetzt den Reichsetat ohne neue Steuern balancieren; bei Annahme
dieses Gesetzes werde sich dies ändern. Das Gesetz soll eingestandenermaßen
die Produktion einschränken, und das widerspreche doch eigentlich den In-
teressen der Landwirtschaft. Richtiger wäre es, die Nachfrage zu steigern,
und das könne durch größere Verwendung des denaturierten Spiritus ge-
schehen. Kein Vertreter des Westens dürfe seine Zustimmung zu einem
Gesetz geben, welches nur für die ostelbische Kartoffelbrennerei zugeschnitten
sei. Die sogen. Gutsbrennereien lägen nur im Interesse des Großgrundbesitzes.
Die Bemerkungen des Herrn Staatssekretärs, daß der Kartoffelbau nur in
geringem Maße zugenommen habe, seien für die Branntweinsteuervorlage
nicht beweiskräftig. In anderen Staaten, z. B. Rußland, hätte zwar der
Kartoffelbau um 50 Prozent zugenommen, man dürfe aber nicht vergessen,
daß er dort nicht annähernd solchen Umfang habe wie bei uns. Außerdem
konzentriere sich doch nicht die ganze landwirtschaftliche Produktion im
Kartoffelbau, sondern eher im Getreidebau. Wenn die Höhe der Export-
prämie in das Belieben der Regierung gestellt werde, so heiße das, die
Preisbildung von der Regierung abhängig machen, die Regierung an die
Siitze der Spekulation stellen. Abg. Paasche (nl.) äußert Bedenken gegen
die Behandlung der Melassebrennerei, billigt aber im allgemeinen die Vor-
lage. Er empfiehlt stärkere Verwendung des denaturierten Spiritus zu
technischen Zwecken und Aufhebung des Identitätsnachweises für das von
den Preßhefefabriken verwendete Getreide. Der Gesetzentwurf wird an eine
Kommission von 21 Mitgliedern verwiesen.
27. April. (Friedrichsruh.) Fürst Bismarck empfängt
eine Abordnung Oldenburger und eine Deputation alter Korps-
studenten.
Er erwidert auf die Ansprache der Korpsstudenten: — — — Ich
sehe gern rückwärts wo ich glücklich d. h. gesund war, ich meine darunter
nicht die Zeit, wo ich eine hohe Stellung im Dienste einnahm, das macht
nicht glücklich, im Gegenteil: es ist eine Zeit der Hetze, der Unruhe, der
Besorgnis, wie eine Sache ausfallen wird und sie bietet wenig Entschädi-
gung dafür und viel Aerger. Ich bin nie herrschsüchtig gewesen und ehr-
geizig, es ist immer Verleumdung gewesen, wenn man dies erzählte, ich
war immer nur diensteifrig. Es ist mir immer viel wertvoller gewesen,
niemanden zu gehorchen, als anderen zu befehlen, also wenn Sie wollen,