Das Deutsche Reich und seine eizelnen Glieder. (April 30.—Mai 2.) 123
Orten gewissermaßen als Schildwache vor den Haupteinfuhrstraßen Chinas
festzusetzen bestrebt sei und, wie es in Pord Arthur und Wei-Hai-Wei den
Zugang zum gelben Meer, in den Fischer-Inseln und Formosa die Haupt-
handelsstraße nach China beherrsche, sich mit einem festen Gürtel um ganz
China herumgelgt habe, um es gegebenenfalls ganz von außen, von Europa
absperren zu können. Die europäischen Mächte wollen daher zu rechter Zeit
eine Schädigung ihrer Interessen abwehren.“
April. Mai. Auseinandersetzung zwischen Konservativen und
Christlich-Sozialen.
Die „Kreuz-Ztg.“ polemißiert gegen die christlich-soziale Richtung
des Pfarrers Naumann (vergl. S. 83), dessen zur Sozialdemokratie
neigender Radikalismus eine Unterstützung durch die konservative Partei
unmöglich mache. Naumann antwortet in der „Hilfe", auch im Gegen-
satz zur konservativen Partei an seinem, den Sozialisten entgegenkommenden
Standpunkte festhalten zu wollen. Von der konservativen Partei trenne ihn
namentlich sein Eintreten „für freie Arbeiterorganisation, für freies Wort
für ein neues Hypothekenrecht und bessere Lage der Landarbeiter, für volle
Sonntagsruhe und für kräftige progressive Einkommensteuer", gemeinsam
bleibe das christl. Bekenntnis und die Staatstreue. Er rechnet auf die
Zustimmung des Hofpredigers a. D. Stöcker. Dieser erklärt im „Volk“
auf dem Boden der konservativen Partei zu stehen: „Was Naumann und
uns ältere Christlich-Soziale trennt, ist, — wenn ich recht sehe — vor
allem das Eine, daß er, wenn auch auf christlicher Grundlage, eine Organi-
sation des Proletariats im gasena zu den besitzenden Klassen anstrebt,
während wir die Sammlung der christlich-sozial gesinnten Geister aus allen
Kreisen und Klassen bewirken möchten, um durch den Zusammenschluß dieser
Elemente die sozialen Schwierigkeiten heben zu helfen.“"
30. April. (Wiesbaden.) Gustav Freytag + f (vgl. Erich
Schmidt, Dtsch. Rundschau Jahrg. 1895).
30. April. Der Reichstag genehmigt in zweiter Beratung
den Gesetzentwurf, betr. die Aufhebung des Gesetzes über die Er-
nennung und die Besoldung der Bürgermeister in Elsaß-Lothringen
vom 4. Juli 1887 (dritte Beratung am 3. Mai).
1. Mai. (Reichstag.) Antrag Grillenberger auf reichs-
rechtliche Regelung des Vereins= und Koalitionsrechts.
Abg. Grillenberger (Soz.): Das Vereins= und Koalitionswesen sei
in den Einzelstaaten ganz verschieden, am härtesten seien die Bestimmungen
in Bayern und Sachsen. Insbesondere müsse den Frauen die Teilnahme
an Versammlungen unbedingt gewährt werden. Abg. Bachem (3.) giebt
manche Mißstände zu, findet aber den Antrag zu weit gehend. Gegen den
Antrag spricht ferner Dr. v. Marquardsen (nl.), dafür v. Hodenberg
(Welfe). Der Antrag wird am 6. Mai mit großer Majorität abgelehnt.
2. Mai. Fürst Bismarcks Dank für die Glückwünsche.
Die „Hamburger Nachrichten" veröffentlichen folgendes Schreiben
aus Friedrichsruh: „Aus allen Teilen Deutschlands und von Deutschen
und Fremden im Auslande, namentlich von Bürgern der Vereinigten
Staaten Amerikas, sind mir zu meinem Geburtstag so viele Glückwünsche
zugegangen, daß ich zu meinem lebhaften Bedauern nicht imstande bin,