das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 8.) 125
die cimbrische Halbinsel. welche die Ostsee von der Nordsee scheidet in
unserem Seeverkehr. Es ist erfreulich, die Zeit zu erleben, daß die Ver-
bindung beider Meere hergestellt und die feierliche Eröffnung des Kanals
zwischen Nord= und Ostsee in naher Aussicht steht. Es war hierauf, als
ich zuerst in die politische Thätigkeit trat, kaum Aussicht, und zu der Zeit,
als es sich um das Schicksal von Schleswig-Holstein handelte, in Verhand-
lungen mit dem damaligen Prätendenten habe ich zuerst die Forderung
dieses Kanals als Vorbedingung unserer Zustimmung zur Einsetzung einer
besonderen holsteinischen Dynastie aufgestellt. (Bravo.) Es gelang mir nicht,
dafür Zustimmung zu finden und hauptsächlich daran scheiterten die da-
maligen Verhandlungen. Ich bin dem Gedanken von Neuem nahe getreten,
sobald wir in Besitz von Holstein kamen; auch dann waren Bedenken mili-
tärischer Natur dagegen. Unsere Landesverteidigung in ihrer wissenschaft-
lichen Spitze hatte die Auffassung, daß wir so starke Armeen, wie zum
Schutze dieses Kanals notwendig sein würden, in unseren Landkriegen nicht
entbehren könnten. Ich habe dem gegenüber stets vertreten: wenn wir
große Landkriege haben, so müssen wir diese Truppenmassen doch entbehren,
weil wir Hamburg schützen müssen, Holstein schützen müssen, Kiel schützen
müssen; schützen wir diese Lokalitäten, so schützen wir auch den Kanal.
Aber es hat mir viel Mühe gekostet, mit meiner Auffassung durchzudringen,
auch nachdem der Millionensegen der französischen Kontributionen einge-
gangen war, um die Sache in Fluß zu bringen.
8. Mai. (Friedrichsruh.) 116 Bürgermeister und Stadt-
verordnete übergeben dem Fürsten Bismarck den gemeinsamen
Ehrenbürgerbrief von 72 Städten des Königreichs Sachsen. Auf
eine Ansprache entgegnet der Fürst:
„Meine Herren! Zuerst richte ich die Bitte an Sie, sich zu bedecken,
weil ich selbst das Bedürfnis habe und ich doch nicht allein es befriedigen
kann. Meine Herren, in der Auszeichnung, wie sie mir heute durch Ihre
Vermittelung widerfährt — es ist meines Wissens noch niemals einem
deutschen Minister, vielleicht auch keinem ausländischen widerfahren, daß
72 städtische Gemeinden ihn, der nicht mehr im Dienste ist und keinen Ein-
fluß auf die Geschäfte mehr hat, gleichzeitig zu ihrem Mitbürger erwählen
und ihm dadurch ihr Wohlwollen und ihr Einverständnis mit seiner früheren
Amtsführung zum Ausdruck bringen. Es ist dies für mich um so gewich-
tiger, als es im ganzen nach unserer deutschen Tradition für einen Minister
nicht ganz leicht ist, sich das Wohlwollen seiner Landsleute zu erwerben.
Im allgemeinen ist doch ihm gegenüber die Kritik noch wachsamer wie die
Liebe und wenn letztere schließlich überwiegt, so muß er gründlich geprüft
und gesiebt sein, ehe man ihm, obschon er Minister ist, das Wohlwollen,
das man den Mitbürgern im allgemeinen schenkt, wieder zuwendet. Es
erfüllt mich mit besonderer Freude, daß ich dies noch erlebe, nachdem ich nicht
mehr im Dienst bin, nicht nur wegen der persönlichen Genugthuung, die
darin liegt, auch wegen der politischen Aussicht in die Zukunft, wegen der
Frage, ob das Saatkorn, das ich auszustreuen berufen gewesen bin, pro-
speriert, in fruchtbaren Boden gefallen ist und Aussicht auf eine zukünftige
dauernde und wiederholte Ernte bietet. Es war außerdem zwischen uns
noch eine andere Scheidewand wie die, welche in Deutschland zwischen dem
Minister und dem regierten Bürger herkömmlich zu bestehen pflegt, es war
die des Partikularismus, wenn ich mich kurz mit einem Fremdworte aus-
drücken soll. Wir hatten zwar wohl immer das Gefühl, Deutsche zu sein,
aber jeder von uns war es auf seine besondere Weise und ohne Verständnis