Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14./15.) 17
Aufhebung der Mac Kinley-Bill, und mit dem Fall der Mac Kinley-Bill
die Kündigung des Vertrages mit Guatemala eintrat. Meine Herren, ich
glaube, Sie heute nicht weiter mit Einzelheiten ermüden zu sollen. Ich
kann die Anfrage des Herrn Interpellanten nur dahin beantworten, daß,
entsprechend den allgemeinen Instruktionen, welche unsere Vertreter im
Auslande haben, wir darauf achten werden, daß dieselben allezeit den
Deutschen, ihrer Person und ihrem Eigentum den Schutz und alle die Pies
gewähren, die vertragsrechtlich und völkerrechtlich begründet ist, daß die
Vertreter im Auslande die Weisung haben, alles zu thun, wodurch sie die
Stellung der Deutschen im Auslande fördern können, daß, wenn berechtigte
Klagen an uns gelangen, sofort Abhilfe eintreten wird, unberechtigte Klagen
allerdings eine Berücksichtigung nicht finden können. Nun zum Schluß,
meine Herren, noch eine kurze Bemerkung, die ich Ihnen dringend ans
Herz lege. Unsere Vertreter in überseeischen Plätzen können die ihnen zu-
gewiesene Aufgabe allein nicht vollführen. So wichtig die Personenfrage
ist, die Persönlichkeit allein thut es nicht und die Instruktion von hier
aus, sie mag noch so schön gedrechselt sein, auch nicht. Soll der Vertreter
die friedliche und fruchtbare Mission, die ihm im Interesse des deutschen
Vaterlandes obliegt, ansführen, so müssen wir ihm, dem Lande, wo er ist,
der Bevölkerung und den Machthabern desselben von Zeit zu Zeit durch
ein sichtbares Zeichen bekunden, daß hinter seiner Thätigkeit die Teilnahme
des deutschen Volkes und der Wille und die Macht des Deutschen Reiches
steht (sehr richtig!), und dieses Zeichen, meine Herren, ist die deutsche Flagge
auf dem deutschen Kreuzer. Unsere Handelsinteressen an den überseeischen
Plätzen nehmen jährlich zu, und wir freuen uns der Zahlen, die das be-
weisen. Wir streben dahin, Kapitalien unseren Kolonien zufließen zu lassen,
um sie zu befruchten und zu entwickeln; wir sehen fromme Männer hinüber-
gehen übers Meer, um in aufopfernder Thätigkeit zu wirken für das
Christentum und die Kultur. So erweitert sich jährlich und täglich der
Kreis unserer überseeischen Pflichten und der Kreis unserer Verantwortung;
aber unsere Kreuzerflotte folgt dieser Bewegung nicht, die einzige Waffe,
die wir dort haben, droht stumpf zu werden und zu rosten. Wenn auf
irgend einem Gebiet, so gilt hier der Satz, daß Stillstand Rückschritt ist.
Ich kann nach pflichtmäbiger Ueberzeugung nicht anders als offen aus-
sprechen: der auswärtige Dienst kann seine Verpflichtungen in ausreichen-
dem Maße nicht mehr erfüllen und die Verantwortlichkeiten, die ihm ob-
liegen, nicht mehr übernehmen, wenn nicht in dieser Beziehung Abhilfe
eintritt. Die Marinebehörden thun alles, was in ihren Kräften steht, um
den berechtigten Wünschen des Auswärtigen Amtes entgegenzukommen; aber
wiederholt ist uns die ultima ratio entgegengetreten: es ist kein Schiff da!
Ich erinnere Sie daran, meine Herren, daß, als jüngst in der Delagoa-
Bai unsere Interessen schwer gefährdet waren — und wir. haben dort
wichtige Interessen, die wir schützen wollen und schützen müssen — wir ge-
zwungen waren, das einzige Kriegsschiff der ostafrikanischen Station, den
„Seeadler", nach der Delagoa-Bai zu entsenden, obgleich gerade in dem
Augenblick Kilwa von den Insurgenten bedroht war. Ich weise darauf
hin, daß heute an der westamerikanischen Küste nicht ein einziges deutsches
Kriegsschiff ist, obgleich in Peru noch heute der Aufstand wütet, wo
wichtige deutsche Interessen zu wahren sind. Dasselbe ist der Fall an der
ostamerikanischen Küste, und in dem Lande San Salvador, von dem wir vorhin
gesprochen haben, ist seit mehr als zehn Jahren, seit dem August 1884,
die deutsche Flagge nicht mehr gesehen worden. (Hört, hört! rechts.)
Meine Herren, die Nachteile und Gefahren, die aus einer Fortdauer dieses
Zustandes entstehen, nicht nur für unsere materiellen, sondern auch für
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXVI. 2