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Vertrauen, daß sich dieser glückliche Erfolg erhalte, knüpfen sich unsere Hoff-
nungen, daß das Einvernehmen der Mächte sich nicht als unwirksam für
die Verbesserung der Lage im Orient erweise. „Wenn die Lage in Europa
dank dem mehr als jemals bekräftigten Einvernehmen der sechs Mächte eine
gute ist, so ist sie zwischen der ottomanischen Regierung und den Völkern
der Türkei eine gedrückte. Die Pforte würde einen Irrtum begehen, wenn
sie glaubt, die Lage könne durch diplomatische Diskussion über die Vorgänge
gelöst werden."“
2. Dezember. (Deputiertenkammer.) Di Rudini gegen
Crispi.
In einer ausführlichen Kritik der Regierungspolitik erklärt Di Ru-
dini, er billige die auswärtige Politik und die Haltung Italiens in der
orientalischen Frage. Er könne aber der gegenwärtigen Regierung die Aus-
nahmegesetze nicht mehr bewilligen, mißbillige es, daß Crispi keinen Unter-
schied zwischen Sozialisten und Anarchisten mache, und beklage, daß das
Versprechen der Amnestie für sizilianische Verurteilte nicht eingehalten worden
sei. Die Haltung des Kabinetts gegenüber den Sozialisten habe die Sym-
pathie der Bevölkerung für letztere nur erhöht. Man müsse das Verbrechen
unterdrücken, aber nicht die Gedankenfreiheit verfolgen. Zur Kirchenpolitik
erklärt er, daß die Frage in Italien mit seiner völlig katholischen Bevöl-
kerung nie eine religiöse sein könne, noch gewesen sei. Der Laienstaat müsse
der Kirche die größte Freiheit lassen, das Ueberhandnehmen der klerikalen
Partei als politische Partei könne nur verhindert werden dadurch, daß die
Regierung eine gesunde Wirtschaftspolitik treibe und sich hiermit die Zu-
stimmung des Volkes erwerbe. An der Finanzpolitik der gegenwärtigen
Regierung tadelt er gerade den Mangel an Rücksicht auf das wirtschaftliche
Gedeihen, während er im übrigen Sonninos Verdienste anerkennt. Die
militärischen Ersparungsmaßregeln der jetzigen Regierung tadelt er als zer-
störend für die Heeresorganisation: man müsse den Mut haben, entweder
gleich den übrigen Mächten die Friedensstärke zu erhöhen oder das Heer
endgültig einzuschränken, aber der gegenwärtige große Unterschied zwischen
Friedens= und Kriegsstärke sei von Uebel. Bezüglich der Kolonialpolitik
befürchtet er, daß man zu bedeutend höhern Opfern gedrängt werde, als
vorgesehen sei. Nachdem sich Crispi verteidigt hat, spricht ihm die Kammer
ihr Vertrauen aus.
13. Dezember. Die Deputiertenkammer geht über alle
Anträge, Giolitti vor Gericht zu stellen, gegen dessen Widerspruch
zur Tagesordnung über (val. Übersicht).
14./16. Dezember. (Deputiertenkammer.) Interpellationen
über Afrika.
Infolge der Niederlage Tosellis (s. Afrika) bringt die Opposition
mehrere Interpellationen ein. Auf ihre Angriffe erwidert Crispi, daß
die Unternehmung in Afrika nicht sein Werk sei, erinnert ferner an die
Besetzung von Assab und Massauah, um darzuthun, daß man damals kein
bestimmtes Ziel hatte; er hätte gewünscht, daß die Hoffnungen Italiens
sich anderswohin lenkten, er habe dies entschieden im Jahre 1882 erklärt
gelegentlich der Aufforderung Englands, mit ihm gemeinschaftlich zu han-
deln, um den Aufstand Arabi Paschas zu ersticken. Indessen seit 1885
mußte man anerkennen, daß, da die Fahne nun einmal in Assab und Mas-
sauah aufgepflanzt war, man dableiben und die Position verbessern mußte.