20 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 15.)
Steuern wesentliche Umgestaltungen erfahren hat, wird Ihnen unverweilt
zugehen. Zu Meinem Bedauern schließt er wiederum mit einem erheblichen
Fehlbetrage ab. Trotz der fortdauernden vorsichtigen und sparsamen Be-
messung der Ausgaben und der günstigern Entwicklung der eigenen Ein-
nahmen Preußens ist es, wesentlich wegen der zu ungunsten der Einzel-
staaten gänzlich veränderten Finanzlage des Reichs, noch nicht gelungen,
das Gleichgewicht des preußischen Staatshaushaltes wieder herzustellen.
Diesen seit mehreren Jahren bestehenden beklagenswerten Zustand endlich
zu beseitigen, muß unser ernstes Bestreben sein. Die verbündeten Regie-
rungen haben in der Erwartung, dadurch zu einem besser geregelten finan-
ziellen Zustande zu gelangen, auf die bisherigen Mehrüberweisungen seitens
des Reichs an die Einzelstaaten verzichtet. Sie werden ihre Vorlagen an
den Reichstag auf eine mäßige Vermehrung der eigenen Einnahmen des
Reichs und die Herstellung gesetzlicher Bürgschaften für die finanzielle Selbst-
ständigkeit des Reichs und seiner Glieder beschränken. Wenn es gelingt,
auf dieser Grundlage eine Einigung herbeizuführen, so ist zu hoffen, daß
die dringlichste Forderung, die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen
den Einnahmen und Ausgaben des Landes erfüllt werden wird. Das letzte
Rechnungsjahr hat einen Fehlbetrag von mehr als 31 000 000 M Für
das laufende Etatsjahr wird der Fehlbetrag jedoch zum Teil infolge vor-
übergehender Verhältnisse wahrscheinlich nicht unerheblich hinter dem An-
schlage und demjenigen des Vorjahres zurückbleiben. Der zu Ihrer Be-
schlußfassung gelangende Gesetzentwurf betreffend die Stempelsteuern soll
die auf dem Gebiete der direkten Steuern nunmehr abgeschlossene grund-
legende Reform auf die indirekten Landessteuern ausdehnen und auch bei
den letztern die Verteilung der Staatslasten nach der Leistungsfähigkeit in
höherm Grade als bisher durchführen. Ein nach gleichen Grundsätzen aus-
gearbeiteter Gesetzentwurf bezweckt eine Neuordnung des gerichtlichen Kosten-
wesens unter dem Gesichtspunkte einer einheitlichen Gestaltung für alle
Landesteile und der Ermäßigung der Kosten für Gegenstände geringern
Wertes, namentlich in Grundbuch= und Vormundschaftssachen. Gleichzeitig
wird Ihnen der Entwurf einer Gebührenordnung für Notare zugehen, in
welchem auch die Notariatsgebühren für die ganze Monarchie gleichmäßig
geregelt sind. Ihrer Beschlußfassung werden ferner mehrere Gesetzentwürfe
unterbreitet werden, welche die Durchführung der im abgelaufenen Jahre
von den Synoden der evangelischen Kirchengemeinschaften beschlossenen
Kirchengesetze zum Gegenstande haben. Dabei wird es sich besonders auch
um die Sorge für die Hinterbliebenen der evangelischen Geistlichen der
neuen Provinzen handeln. Wegen Erweiterung des Staatseisen bahnnetzes
durch Herstellung neuer Eisenbahnlinien wird I#nen auch in diesem Jahr
ein Gesetzentwurf zugehen, in welchem zugleich Mittel zur Beteiligung des
Staates an Kleinbahn-Unternehmungen vorgesehen werden sollen. Mit
der Neuordnung der Behörden der staatlichen Eisenbahnverwaltung werden
vom Beginn des nächsten Etatsjahres ab umfangreiche Reformen des Kassen-
und Rechnungswesens in Kraft treten, welche dazu beitragen werden, die
Wirtschaftlichkeit der Verwaltung zu erhöhen. Der Entwurf eines Gesetzes
betreffend die Verpfändung der Privat-Eisenbahnen und der Kleinbahnen
wird wiederholt den Gegenstand Ihrer Beratung bilden. Die schweren
Sturmfluten der letzten Wochen haben auch an den preußischen Inseln und
Küsten der Nordsee bedauerliche Verheerungen angerichtet. Wegen Fest-
stellung des Umfangs dieser Schäden und Einleitung der zu ihrer Besei-
tigung geeigneten Maßnahmen ist das Erforderliche veranlaßt. Zur weitern
Förderung des gewerblichen Fortbildungs= und Fachschulwesens ist eine Ver-
stärkung der etatemäßigen Mittel vorgesehen. Zu Meinem lebhaften Be-