Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

Mebersicht der yolitischen Entwickelung des Jahres 1895. 317 
eine Waffenruhe zu stande (31. März), der dann der Friede folgte 
(S. 313). Mit der Abtretung der Halbinsel Liautung, die Japan 
sich ausbedang, wäre Korea eine Enklave in japanischen Besitzungen 
geworden, von einer wirklichen Unabhängigkeit der Halbinsel hätte 
keine Rede sein können, und ebenso wäre ein großer Teil Chinas 
politisch und wirtschaftlich unter Japans Einfluß geraten. Deshalb 
protestierten Rußland, Frankreich, Deutschland und Spanien gegen 
diese Bestimmung des Traktats, und Japan, das von keiner Seite 
Unterstützung zu erwarten hatte, wagte keinen Widerstand, sondern *- 
erklärte sich sofort zum Verzicht auf Liautung gegen eine Ent- 
schädigung von 150 Millionen Mark bereit. 
Daß das benachbarte Rußland großes Interesse daran hatte, Motive. 
Japan nicht übermächtig werden zu lassen, liegt auf der Hand, und 
ebenso ist es erklärlich, daß Frankreich mit seinem Bundesgenossen 
zusammenging (S. 256). Überraschend war allein die Haltung der 
deutschen Regierung, die plötzlich an der Seite ihrer europäischen 
Gegner erschien, um eine siegreiche Macht, für die die öffentliche 
Meinung in Deutschland aufs entschiedenste Partei genommen hatte, 
um die Früchte ihrer Siege zu bringen, nachdem vor einem halben 
Jahre ein ähnliches Bestreben Englands (Okt. 1894) grade an dem 
Widerspruche Deutschlands gescheitert war. Begründet wurde die 
deutsche Politik mit der Notwendigkeit, nicht den Franzosen und 
Russen allein die Schlichtung des ostafiatischen Konflikts zu über- 
lassen. Die Mächte würden, da ein bewaffneter Widerstand Eng- 
lands nicht anzunehmen war, auch allein Japan zum Nachgeben 
gezwungen und sich für ihre Mühe an chinefischem Gebiete schadlos 
gehalten haben. Dadurch daß Deutschland an der diplomatischen 
Aktion teilnahm, wurde Japan ohne Schwertstreich zum Einlenken 
bewogen und ferner konnte Deutschland die Ansprüche seiner Bundes- 
genossen mäßigen und bei einer eventuellen Verteilung chinefischen 
Gebietes gebührende Berücksfichtigung seiner Interessen verlangen. 
Der Wunsch also, Japan vor einem verderblichen Kriege zu 
schützen und die einseitige Steigerung des russisch-franzöfischen 
Einflußes in China zu verhindern, war bestimmend für Deutsch- 
lands Haltung, die im Inlande keineswegs ungeteilten Beifall 
fand (S. 112).
	        
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