Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

Mebersicht der politischen Entwickelung des Jahres 1895. 325 
eines neuen Hypothekenrechts, Besserung der Lage der Landarbeiter, 
Einführung einer kräftigen progreffiven Einkommensteuer u. dergl. 
In evangelischen Arbeitervereinen und in seiner Wochenschrift, der 
„Hilfe"“, die bald zahlreiche Abonnenten fand, war er unermüdlich 
für die Verbreitung seiner Ideen thätig. Wiewohl Naumann seine 
nationale und monarchische Gefinnung wiederholt betonte und auch 
für die Verstärkung der Wehrkraft durch Bewilligung der Marine- 
forderungen lebhaft eintrat, so wurde seine Richtung dennoch bald 
als Abart der Sozialdemokratie bezeichnet, wozu vor allem sein 
Eintreten für Berufsorganisationen den Anlaß gab (S. 3, 37). 
Die Forderung des Koalitionsrechts für die Landarbeiter insbe- 
sondere entfremdete ihn den Konservativen, und die „Kreuz-Zeitung“ 
unternahm es, jeden Zusammenhang zwischen der konservativen 
Partei — also auch den ihr angehörenden Christlich-Sozialen — 
mit den jüngeren Christlich-Sozialen zu zerreißen (S. 123). Der 
Versuch gelang nicht völlig, Stöcker und Wagner blieben nach wie 
vor in Verbindung mit den Anhängern Naumanns in gemeinsamer 
Arbeit auf dem evangelisch-sozialen Krongreß (S. 153), wenn sie 
auch keineswegs die zwischen ihnen bestehenden Differenzen ver- 
hehlten, insbesondere Naumanns einseitige Tendenz, die Arbeiter 
im Gegensatz zu den besitzenden Klassen zu organisieren, verurteilten. 
Nicht mehr fruchtete eine partei-offiziöse Kundgebung der „Konf. 
Korr."“, die die soziale Thätigkeit des evangelisch sozialen Kongresses 
und der Pastoren scharf kritisierte und jedem Konservativen rück- 
sichtslose Bekämpfung der Naumannschen Richtung anbefahl (S. 189). 
Stöcker und seine Gesinnungsgenossen bleiben trotzdem in dem 
früheren Verhältnis zu Naumann, und dieser fand neue Bundes- 
genossen in einer Anzahl pommerscher Geistlicher, die der konser- 
vativen Partei das Recht absprachen, die Thätigkeit der Pastoren 
zu bestimmen (S. 190). Auch durch einen Erlaß des Oberkirchen- 
rats, der die Pastoren dringend auf ihre seelsorgerischen Pflichten 
in Haus und Gemeinde verwies, wurde diese christlich-soziale Strö- 
mung nicht eingedämmt, wie die ihr nahestehende Presse zeigt 
(S. 204). Welche Entwicklung die jüngere christlich-soziale Richtung 
dereinst nehmen und ob sie überhaupt größere als ephemere Be 
deutung erlangen wird, steht noch dahin: für die Beurteilung d
	        
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