Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

56 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 25.) 
genannt. Die kleineren Staaten fühlten die Schwankungen zwischen Ueber- 
weisungen und Matrikularumlagen noch schwerer als Preußen; sie müßten 
oft alle Kulturaufgaben zurückstellen, um dem Reich zu genügen. Die 
Ueberweisungen seien früher ganz stattlich gewesen, mit der Zeit sei man 
aber zu Zuzahlungen gekommen. Der Gesetzentwurf wolle die Einzelstaaten 
davor sichern, daß sie mehr Matrikularumlagen zahlten, als sie an Ueber- 
weisungen erhielten. Man hätte die Vorlage einen Automaten genannt; 
der automatische Weg sei aber der einzige, um das gesteckte Ziel sicher zu 
erreichen. Die Franckensteinische Klausel müsse aufrecht erhalten bleiben. 
Ihr Zweck sei, die Bundesstaaten für die ihnen entgangenen indirekten 
Steuern schadlos zu halten. Bei dem jetzigen Gesetze würde man auch das- 
selbe erreichen, wie durch Aufhebung der clausula Franckenstein. Man 
frage nun vielfach: „Würde es nicht völlig genügen, die wirtschaftlichen 
Ueberschüsse des Reiches in den Ausgleichungsfonds zu legen?" Das müsse 
er aber verneinen. Die Ueberschüsse seien doch außerordentlich unsicher, da 
sie zum größten Teil aus den Getreidezöllen kämen, und diese sehr schwankend. 
Der Staatssekretär schildert die Schwierigkeiten der Reichs-Finanzverwaltung, 
namentlich bei der Aufstellung des Etats. Vor allem sei es Aufgabe des 
Schatzsekretärs, das Reich vor weitergehender Verschuldung zu schützen; der 
Reichstag habe das Bestreben, neue Steuern zu vermeiden und lieber das 
Extraordinarium zu belasten. Wolle man die Reichs-Finanzverwaltung 
stärken, so könne man es nur auf organisatorischem Wege, und das werde 
durch die Vorlage erreicht. Die Deckung solle auch durch die Erträgnisse 
der Tabakssteuer erfolgen. Daß die Einnahmen des Reichs erhöht werden 
müssen, sehe man allgemein ein, obwohl einige Parteien sagten, sie hätten 
nicht für die Militärvorlage gestimmt und brauchten daher auch nicht für 
neue Mittel zu sorgen. Die große Vermehrung der Schuldenlast sei nur 
die Folge einer nicht genügenden Anspannung der Steuerkraft. Die Börsen- 
steuer habe man ja, aber weiter nichts. Die Erhöhung des Postzeitungs- 
tarifs, die Wehrsteuer, seien nicht acceptabel, es bliebe nur die Tabaks- 
fabrikatsteuer. Gegen das Monopol verwahre er sich entschieden. Ohne 
neue Einnahme könne der Reichsetat schon jetzt nicht balanciert werden. 
Abg. Richter (frs. Bp.) ist gegen das Gesetz, das am besten gar 
nicht weiter beraten werde; eventuell solle es der Tabaksteuerkommission zu- 
gewiesen werden. Für die Vorlage treten ein der bayer. Bundesrats- 
bevollmächtigte v. Stengel, der meiningsche v. Heim und der weimarische 
Heerwart, die in Anbetracht der übeln Finanzlage der Einzelstaaten 
dringend die Annahme empfehlen. Abg. Dr. Lieber (3.); die jetzige Vor- 
lage kehre wieder ohne die Dotation von 40 Mill. Mark und verlange nur, 
daß die Matrikularbeiträge niemals höher werden als die Ueberweisungen, 
dadurch werde sie annehmbar. Aber nur auf 5 Jahr diesen Modus ein- 
zuführen, könne das Zentrum nicht billigen. Die geschichtliche Erinnerung 
an die wertvolle Franckensteinsche Klausel dürfe nicht verblassen. Am 
folgenden Tage wird die Vorlage, nachdem sich noch Abg Eneccerus (nl.) 
dafür ausgesprochen hat, an die Tabaksteuerkommission verwiesen. (Vgl. 
v. Mayr, Die Reichsfinanzreform. Vierteljahrsschr. f. Staats= u. Volks- 
wirtsch. Bd. 4.) 
25. Februar. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Kultusetat. 
Stellung der Hülfslehrer. 
Abg. Seyffardt (ul.): im vorigen Jahre habe ein Kommissar des 
Finanzministers behauptet, daß an den höheren Schulen der Norm nach 
höchstens zwei Hilfslehrer beschäftigt seien. Dem sei aber nicht so; es gebe 
augenblicklich 47 höhere Schulen, davon sechs königliche, an denen diese
	        
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