122 Jas Ventsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 16.)
Graf Schuwaloff und brachte mir den neuen Vertrag. Da trat der Kon-
flikt ein. Ich bat den Kaiser, er möge mich noch als Minister des Aus-
wärtigen behalten, bis die Vertragssache geordnet und die Verlängerung
des Abkommens erledigt sei. Ich fürchtete, daß der englische Einfluß siegen
werde und da man mich zum Rücktritt drängte, habe ich in meinem Ent-
lassungsgesuche natürlich auch von dem Neutralitätsvertrage mit Rußland
gesprochen. Das persönliche Vertrauen des Zaren zu mir schien mir denn
doch von Wichtigkeit. Wenn Graf Caprivi seine ministerielle Verantwort-
lichkeit zu Rate gezogen hätte. vielleicht hätte er auch den Vertrag erneuert.
Aber dieser Verantwortlichkeit war er sich nicht genügend bewußt, als sich
die starken persönlichen Einflüsse geltend machten, die gegen die Verlängerung
in Bewegung gesetzt wurden. Das muß man im Auge behalten, wenn
min ffragt: Wer hat 1890 den Inhalt des Vertrages an England mit-
geteilt?“
Das Gespräch kam sodann auf die Frage, ob der deutsch-russische
Vertrag in Wien und Rom bekannt gegeben worden sei. Während an
hiesiger amtlicher Stelle betont wird, daß das nicht der Fall gewesen, er-
klärte der Fürst, es sei geschehen, aber — setzte er hinzu — man braucht
dazu notwendig nicht den amtlichen Weg, bei dem es ja immer zahlreiche
Mitwisser gibt. Es gibt jedoch auch andere Wege
Im Laufe der Unterhaltung kam Fürst Bismarck auch auf das
Lombardverbot gegen russische Werte zu sprechen. Er sei noch heute stolz
auf diese That. Wer garantierte ihm denn, daß er bis zum Ablaufe des
Vertrages lebte? Er habe seinem Nachfolger einen festen Boden schaffen
müssen. „Wenn", sagte der Fürst, „einmal die panflavistischen Krieg-
schreier siegten, durfte Rußland nicht mit unserem eigenen Gelde gegen uns
zu Felde ziehen, und so sorgte ich auch für die Zukunft, auch mit der
Militärvorlage von 1888.“
Die „Hamburger Nachrichten“ bemerken hiezu: „Das „Neue
Wiener Tageblatt“ vom 15. ds. enthält ein angebliches Interview mit dem
Fürsten Bismarck. Wir bemerken dazu nur, daß das „Neue Wiener Tage-
blatt“ zu den entschiedenen Gegnern der Politik und der Person des Fürsten
Bismarck gehört, und wir gehen deshalb auf eine Kritik der Einzelheiten
nicht ein, die wir auch objektiv für unzutreffend halten.“ — Trotzdem hält
das „Neue Wiener Tageblatt“ seine Mitteilungen aufrecht.
16. November. (Reichstag.) Interpellation über die Ent-
hüllungen der „Hamburg. Nachr.“ Hohenlohe und Marschall
über die auswärtige Politik.
Die vom Zentrum eingebrachte Interpellation lautet: „Ist der Herr
Reichskanzler in der Lage, Auskunft darüber zu geben, 1) ob bis zum
Jahre 1890 ein geheimer Vertrag zwischen dem Deutschen Reiche und Ruß-
land bestanden hat, 2) im Falle ein solcher Vertrag bestand, welche Vor-
gänge dazu geführt haben, ihn nicht zu erneuern, 3) welchen Einfluß die
jüngsten Veröffentlichungen über diese Angelegenheit auf die Stellung
Deutschlands im Dreibunde und sein Verhältnis zu den übrigen europäi-
schen Mächten geübt haben?"“ Abg. Graf Hompesch (3.): Die Enthüllungen
der „Hamb. Nachr.“ hätten im In= und Auslande das größte Aufsehen
gemacht und Mißtrauen gegen die Vertragstreue der Deutschen Regierung
hervorgerufen. Die Erklärung des „Reichs-Anz.“ genüge nicht. — Reichs-
kanzler Dr. Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst: Ich habe auf die
Interpellation folgendes zu erklären: Ueber die Verhandlungen, die vom
Jahre 1887 bis zum Jahre 1890 zwischen Rußland und dem Deutschen