96 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 25.—Juni 2.)
lutherischen Kirche zur sozialen Frage. Fabrikbesitzer Freese-Berlin:
Das konstitutionelle System im Fabrikbetriebe. Professor Paulsen-
Berlin: Die Wandlung des Bildungsideals im Zusammenhang
mit der sozialen Entwicklung.
25. Mai. (Bayern.) Bei der Reichstagsersatzwahl im
zweiten niederbayerischen Wahlkreise (Straubing) wird Echinger
(Zentrum) mit 6068 Stimmen gegen Wieland (Bauernbund) mit
5975 Stimmen gewählt.
27. Mai. (Berlin.) Die Hauptversammlung der Kolonial-
gesellschaft verlangt Beschleunigung des Ausbaus der Flotte.
27. Mai. (Ulm.) Prinz Ludwig v. Bayern spricht sich auf
einem Feste des Vereins für Hebung der bayerischen Fluß- und
Kanalschiffahrt energisch für den Mittellandkanal aus.
31. Mai. (Gotha.) Debatte im Landtag über die Erbfolge.
Bei der Haushaltsberatung führt Abg. Liebetreu aus, daß die
Frage der Thronfolge des Herzogtums Sachsen-Koburg-Gotha über die
Grenzen desselben in weiten Kreisen eifrig und ernst besprochen werde,
wozu nicht zum geringsten manche befremdliche Aeußerung der englischen
Presse den Anlaß gegeben habe. Der Landtag weise das vorgeschlagene
Eingreifen der Reichsinstanz zurück, lege jedoch dagegen Verwahrung ein,
als könne Land und Volk von Koburg und Gotha als ein totes Familien-
erbstück betrachtet werden. Nach § 4 der Verfassung habe der Herzog seinen
wesentlichen Aufenthalt im Staatsgebiete zu nehmen, um mit den Zuständen
des Landes und den Bedürfnissen des Volkes vertraut zu sein. Dieser
Gesichtspunkt sei auch für den Thronfolger geltend, der seinen wesentlichen
Aufenthalt im Lande nehmen müsse. Nach dieser Richtung hätte die Staats-
regierung längst eine beruhigende Erklärung erlassen sollen. Redner glaubt
im allgemeinen Einverständnis zu handeln, wenn er diese hochbedeutsame
Frage hier anrege und der Staatsregierung Gelegenheit gebe zur Aeußerung,
bevor dieser Angelegenheit an Wichtigkeit nachstehende Fragen bei der
Etatsberatung besprochen werden. Hierauf bringt Abg. Arnold folgenden
Antrag ein:
„Der gemeinsame Landtag wolle die herzogliche Staatsregierung
ersuchen, an höchster Stelle darauf hinzuwirken, daß der nach menschlichem
Ermessen dereinst zur Thronfolge berufene Prinz Arthur von Connaught
baldmöglichst seinen wesentlichen Aufenthalt in den Herzogtümern Koburg
und Gotha nehme, hierselbst eine deutsche Erziehung erhalte und sich mit
den Verhältnissen seiner neuen Heimat aus eigenen Anschauungen vertraut
mache."
Diesen Antrag will Staatsminister Strenge an die Kommission
verwiesen wissen, um dort Erklärungen abzugeben, die sich der Oeffentlich-
keit entziehen sollen. Der Landtag beschließt jedoch sofortige Abstimmung
und nimmt den Antrag gegen die Stimmen der Sozialdemokraten an.
2. Juni. Dem Reichstag wird folgender Gesetzentwurf zum
Schutz des gewerblichen Arbeitsverhältnisses vorgelegt:
„§ 1. Wer es unternimmt, durch körperlichen Zwang, Drohung,
Ehrverletzung oder Verrufserklärung Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zur