Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 8./9.—10./11.)      3
 
schwerden der Arbeiter. 3. Den Invaliden und Witwen früherer Beleg- 
schaftsmitglieder die Brandkohlen zu den für letztere üblichen Preisen zu 
überlassen, wenn erstere bezw. die Belegschaftsmitglieder längere Zeit auf 
den Werken beschäftigt waren. 
        8./9. Januar. (Preußen.) Der Oberpräsident von Schles- 
wig-Holstein, v. Köller, bereist Nordschleswig und wird durch Fackel- 
züge und andere Feste gefeiert. Einer Deputation, die um Auf- 
hebung der Ausweisungen (vgl. 1898 S. 174) bittet, entgegnet er, 
das könne erst geschehen, wenn die dänische Agitation aufhöre. 
         10./12. Januar. (Hamburg.) Der deutsche Seemannstag 
beschließt eine Petition an den Reichstag, in die Seemannsordnung 
die Sicherstellung des Koalitionsrechts der Seeleute aufzunehmen. 
In einer Resolution wird die Notwendigkeit betont, gegenüber den 
Bestrebungen der Rheder auf ein internationales Zusammengehen  
auch ein internationales Aneinanderschließen aller seefahrenden 
Arbeiter herbeizuführen. 
          10./11. Januar. (Reichstag.) Interpellation Wangenheim 
über angebliche Fleischnot. Erklärung Posadowskys. 
          Abg. v. Wangenheim (kons.) bringt folgende Interpellation ein: 
          Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft über die Ergebnisse der 
Enqueten zu erteilen, die in verschiedenen Bundesstaaten über die angeb- 
liche Fleischnot stattgefunden haben? 
          Er führt aus, die von vielen Seiten behauptete Fleischnot existiere 
nicht. Der Fleischkonsum habe in den letzten Jahren bedeutend zugenommen. 
Die Grenzsperre sei notwendig wegen der Seuchengefahr. Die deutschen 
Landwirte haben so große Verluste gehabt, daß sie sehr viel mehr für den 
Fleischverbrauch hätten liefern können, wenn nicht so viel Vieh an den 
Seuchen eingegangen wäre. Direkte Verluste an Seuchen sind in Württem- 
berg und Baden drei vom Hundert ermittelt worden, aber sehr viel größer 
sind die indirekten Verluste durch Verminderung des Wertes der Produk- 
tion, durch Verschlechterung der Qualität. Im ganzen sind die Verluste 
der deutschen Landwirtschaft seit 1883 auf 325 Millionen Mark berechnet 
worden. 1884 hatten wir noch eine Mehrausfuhr von Vieh, Fleisch und 
Speck, jetzt haben wir eine sehr erhebliche Mehreinfuhr in diesen Artikeln. 
Ein Mangel an Schlachtvieh hat in keiner Weise stattgefunden, die Preise 
sind nicht gestiegen. In den drei Perioden von 1875—83, 1884—93 und 
1894—98 haben die Preise betragen für Rindvieh 29,6 M, 28 M. und 
28,5  M,  für Schafe 26.M, 29 M und 24,1 M, endlich für Schweine 40,2 M, 
38,8 M  und 37,4 M. Das ist die angebliche ungeheure Preissteigerung. 
Daraus ergibt sich, daß alle die angeblichen Schwierigkeiten für die Fleisch- 
versorgung nicht vorhanden sind. Wenn die vereinigten deutschen Fleischer 
davon sprechen, daß eine nationale Gefahr bestehe, so ist das vollständig 
unbegründet. 
                    Staatssekretär des Innern Dr. Graf v. Posadowsky: Meine Herren, 
in der Presse und in zahlreichen, von Innungen, von städtischen Kommunen, 
von Vereinen ausgegangenen Petitionen, welche teils an den Herrn Reichs- 
kanzler, teils an die verbündeten Regierungen gerichtet waren, kam die Be- 
hauptung zum Ausdruck, daß die Fleischversorgung zur Zeit eine außer- 
                                                                                                                                  1*
	        
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