Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 15.) 103
Von den sämtlichen Großmächten kann man geradezu sagen, daß sie bei
der Austragung nahezu jeder internationalen Frage von nur einiger Be-
deutung mehr oder weniger interessiert sind, und daß es für diese ausge-
schlossen ist, die Lösung einer solchen Frage herbeiführen zu helfen, ohne
daß sie dabei ihr eigenes Interesse im Auge behalten und mitberücksichtigen.
Das tritt gerade augenblicklich wieder zu Tage in den Streitigkeiten zwischen
England und Transvaal. Für Deutschland schweben zur Zeit keine Fragen,
deren Austragung eines Schiedsspruchs harrt. Um so unbefangener kann
es, im Hinblick auf Möglichkeiten der Zukunft, auf die Gefahr aufmerksam
machen, die sich aus einer ungenügenden Wahrung der unbedingten Un-
parteilichkeit solcher Schiedsgerichtshöfe ergeben müsse. Sobald die Bürg-
schaften einer solchen Unparteilichkeit gegeben werden, wird auch Deutsch-
land den über den russischen Vorschlag hinausgehenden Anträgen zustimmen
können.“
15. Juni. (München.) Eröffnung der allgemeinen Deutschen
Sportausstellung.
Mitte Juni. (Preußen.) Ein Rundschreiben des Bundes
der Landwirte an die Wahlkreise betont, daß die Regierung in der
Kanalfrage den schärfsten Druck auf die Abgeordneten, die Beamte
sind, ausüben werde und ermahnt in der Ablehnung des Kanals
unbedingt fest zu bleiben.
15. Juni. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Zweite
Beratung der Kanalvorlage. Rückverweisung an die Kommission.
Die Kommission beantragt die Ablehnung der Vorlage und schlägt
folgende Resolution vor:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: a) Der königlichen
Staatsregierung seine Bereitwilligkeit zur Bewilligung der für die Ver-
mehrung und Erweiterung der Ausrüstung und Anlagen der Eisenbahnen
erforderlichen Mittel auszusprechen, um die Leistungsfähigkeit der Staats-
bahnen entsprechend dem stetig wachsenden Verkehr zu erhöhen, b) der kgl.
Staatsregierung seine Bereitwilligkeit zur Bewilligung der zum Bau der
Schleusentreppe bei Henrichenburg sowie zum Ausbau des Ruhrzubringers
bei Hohensyburg — letzteres unter der Voraussetzung, daß das Wasser aus
der Ruhr nur entnommen wird, wenn dieselbe mindestens 16 Kubikmeter
per Sekunde führt — erforderlichen Mittel auszusprechen.
Ministerpräsident Fürst zu Hohenlohe: Ihre Kommission hat in
ihrer Sitzung vom 17. vorigen Monats die entscheidenden Teile des uns
heute wieder vorliegenden Gesetzentwurfes abgelehnt. Die Gründe für und
gegen den Mittellandkanal sind sowohl bei der ersten Beratung im Plenum
wie in der Kommission eingehend erörtert worden und die Herren haben
ausgiebige Gelegenheit gehabt, sich ihre Meinung zu bilden. Indem ich
dessen ungeachtet das Wort ergreife, um Ihnen die Vorlage zu empfehlen,
so thue ich es, weil ich geglaubt habe, bei der ersten Lesung den beteiligten
Herren Ressortministern das Wort überlassen zu sollen und mich nun ver-
pflichtet fühle, in dieser hochwichtigen Frage ebenfalls Stellung zu nehmen.
Wenn ich die Gründe prüfe, welche gegen den Kanal geltend gemacht
worden sind, so finde ich zunächst die Befürchtung vor der Schaffung neuer
Einbruchsstellen für die auswärtige Konkurrenz und dann die Besorgnisse,
daß unsere Staatsfinanzen sowohl durch die zum Bau erforderlichen Geld-
mittel als auch durch den Ausfall in den Einnahmen der Eisenbahnen ge-