124 Daeas Nenische Reich und seine einzelnen Glieder. (August 16./17.)
16./17. August (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Zweite
Beratung der Vorlage über den Bau eines Kanals vom Rhein bis
zur Elbe. Ablehnung der Hauptpunkte. Erklärung Thielens,
Migquels, Buddes.
Minister der öffentl. Arbeiten Thielen: Ich will heute nochmals
den Standpunkt der Regierung kurz darlegen. Sie ist durch die Kommis-
sionsverhandlungen in ihrer Auffassung nur gestärkt worden, daß die Her-
stellung des Rhein-Elbe-Kanals eine Landesmelioration der allerbedeutendsten
Art ist, die allen Zweigen der Volkswirtschaft reichen Segen bringt, die
Wehrkraft des Landes stärkt und den Betrieb der Eisenbahnen da, wo er
sich heute nur mit Aufbietung ganz erheblicher Kosten und Anspannung
aller Kräfte ermöglichen läßt, in wirksamer Weise entlastet. Von derselben
Auffassung ging der Landtag 1886 aus, als er aus eigenem Antrieb in
das Gesetz über den Dortmund-Ems-Kanal den Plan der Herstellung einer
Wasserverbindung zwischen sämtlichen großen Strömen Preußens einfügte,
und ebenso 1894, als er die stückweise Ausführung dieses Planes zurückwies.
Hat sich denn die wirtschaftliche und die finanzielle Lage des Landes seit
1886 so wesentlich verändert? Doch nur in dem Sinne, daß die Gründe,
welche damals für diese Wasserstraße sprachen, heute in noch stärkerem
Maße vorliegen, und daß die damals geäußerten Bedenken dagegen,
die hauptsächlich in der Finanzlage begründet waren, heute wesent-
lich schwächer sind als damals. Der Verkehr auf den Eisenbahnen
wächst von Monat zu Monat; er erstreckt sich auf Industrie, Handel und
Gewerbe. Der Rhein-Elbe-Kanal ist geeignet, dem wachsenden Verkehrs-
bedürfnisse abzuhelfen. Eine Vermehrung und Verbesserung der Verkehrs-
straßen liegt auch im Interesse der Landwirtschaft, seitdem der Maschinen-
betrieb in erhöhtem Maße eingeführt ist. (Große Unruhe.) Auf den Eisen-
bahnen kann der steigende Verkchr nur mit Aufwand der größten Geld-
und Arbeitskraft bewältigt werden Diese Lage wird sich für die Eisen-
bahnen noch verschlimmern, da der Bau des Rhein-Elbe-Kanals ungefähr
8—10 Jahre dauern wird. Deshalb fühle auch ich als Eisenbahnminister
mich verpflichtet, auf den Ernst der Situation hinzuweisen. Wir brauchen
den Kanal; Schleppbahnen allein reichen nicht aus. Landwirtschaftliche
Gründe können gegen den Kanal nicht erhoben werden. Sie sind ebenso
widerlegt worden wie die technischen Gründe. Als unerläßliche Vorbe-
dingung für den Bau des Kanals ist stets erachtet worden eine angemessene
Beteiligung der Interessenten und eine angemessene Festsetzung der Kanal-
abgaben. (Der Präsident bittet um Ruhe.) Beide Bedingungen sind erfüllt
worden. Einen breiten Raum in den Verhandlungen hat bisher die Frage
der Kompensationen eingenommen. Die Regierung hat keinen Anlaß, ihre
grundsätzliche Auffassung über die Berechtigung der Kompensationen irgend-
wie zu ändern. Sie hat in dieser Beziehung bestimmte Erklärungen abge-
geben. Zu den Kompensationen ist doch nicht zu rechnen, daß eine Provinz
auf ihre eigenen Kosten irgend eine Verkehrsstraße anlegen soll. Die Re-
gierung kann nur anerkennen, daß die Kompensationen eine Berechtigung
haben, die ihre Begründung an und für sich in dem Rhein-Elbe-Kanal selbst
haben; und so weit es sich um solche handelt, hat die Regierung ihre Be-
reitwilligkeit erklärt, die Kompensationen zu gewähren. Die Regierung
hofft, daß der Landtag die Vorlage genehmigen wird und damit der Ent-
wicklung des Landes in wirtschaftlicher und politischer Beziehung nach jeder
Richtung eine Förderung zu Teil werden läßt, die die kommenden Ge-
schlechter erst vollkommen zu würdigen in der Lage sein werden.