Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (August 16./17.) 127 
sind ein Rückgrat der ganzen preußischen Finanzen; aber wir haben dafür 
gesorgt, daß sich das mehr und mehr vermindert, und wenn die Eisenbahn- 
überschüsse in den letzten Jahren trotz des glänzenden Verkehrsaufschwunges 
sich im Nettobetrage vermindert haben und wir dies nicht nur ertragen 
konnten, sondern sogar sehr bedeutende sonstige Ueberschüsse gehabt haben, 
so zeigt das, daß unsere Bemühungen in jener Richtung nicht erfolglos 
gewesen sind. Bisher haben wir die Ausgaben um 200 Millionen ver- 
mehren können. An den Mehreinnahmen des letzten Jahres sind die Eisen- 
bahnüberschüsse überhaupt nur mit 1/9 beteiligt. (Hört, hört! links.) 
Während wir unsere Staatsausgaben um 200 Millionen erhöht haben, 
abgesehen von den wachsenden Ausgaben für das Reich, hat Frankreich 
ohne die Militärausgaben kaum um 10 Millionen Franken seinen Staats- 
haushalt vermehrt. Allerdings kann man das größte Gewicht auf die Er- 
haltung und thunlichste Vermehrung der Eisenbahnüberschüsse legen, darin 
bin ich mit dem Grafen Limburg vollständig einverstanden, ohne mit seiner 
Motivierung einverstanden zu sein. Die Umgestaltung der Eisenbahnanlagen 
am Rhein würde gegen 300 Millionen erfordern. Wir haben eine fort- 
schreitende Kultur, Steigen des Wohlstandes, Wachsen des Verkehrs, Steigen 
der Wertschätzung der persönlichen Dienstleistungen, Wachsen der Löhne 
und Steigen der Beamtengehälter, Vermehrung des Personals, Verminde- 
rung der Arbeitsleistung durch Sonntagsruhe u. s. w. Das alles kann ein 
gewöhnlicher Privatunternehmer vertragen, denn er wirft diese Produktions- 
kosten auf den Preis, oder er kann seinen Betrieb einstellen. Wie soll 
aber die Eisenbahnverwaltung diese wachsenden Produktionskosten abwerfen? 
Um so vorsichtiger müssen wir in der Herabsetzung der Tarife sein, und 
man kann nicht sagen, daß jede Tarifherabsetzung ein großer Vorteil für 
den Staat ist. Wie steht es dagegen mit dem Kanal? Er wird gebaut, 
beaufsichtigt, einigermaßen unterhalten (Heiterkeit rechts) und braucht wenig 
Personal, kostet also viel weniger. Der Eisenbahnverkehr ist so kompliziert 
und schwierig geworden, daß ein Teil seiner Verantwortlichkeit auf den 
Kanal abgegeben werden muß. Wir haben im vorigen Jahre 63 Millionen 
Mehreinnahmen gehabt und allein 54 Millionen im Ordinarium mehr 
ausgegeben. Wenn wir durch den Kanal auf einen Einnahmeausfall bei 
den Eisenbahnen von 50 Millionen rechnen, so macht das auf mich als 
Finanzminister einen sehr geringen Eindruck, wenn mir die Eisenbahn nicht 
sagen kann, wie die Ausgaben steigen. Wenn der Kanal nicht kommt, 
werden erst recht erhöhte Ausgaben durch die Umgestaltung der Eisenbahn 
in dem Industriebezirk erforderlich sein. Sehen Sie sich nur die erste 
Rate für die Bahnhofsbauten an! Für die nächste Zeit ist in jeder Be- 
ziehung eine erhebliche Steigerung der Ausgaben zu erwarten. (Hört, hört!) 
Jawohl: Hört, hört! Das würde aber anders, wenn wir den Kanal 
bauen. Für landwirtschaftliche Zwecke, namentlich Meliorationen, ist in 
den letzten Jahren außerordentlich viel geschaffen, und wir haben die öst- 
lichen Provinzen nicht entfernt zurückgesetzt. Wenn zu befürchten wäre, 
daß der Bau des Kanals diese Meliorationsarbeiten für den Osten ver- 
mindern würde, so hätte ich niemals für den Kanal gestimmt. Beim Bau 
von Klein- und Nebenbahnen ist besonders auch der Osten berücksichtigt 
worden. Ich führe das nicht an, um zu sagen, daß der Osten dadurch 
bevorzugt worden sei. Das ist eine Verbesserung im allgemeinen Interesse 
des Staates. In Bezug auf die Förderung des Kleinbahnwesens wird 
auch in Zukunft der Staat in wirksamer Weise neben den Provinzen ein- 
greifen müssen. Auch die Verbesserung der Schiffahrt auf der Oder, welche 
die beiden größten Städte der Monarchie verbindet, wird im allgemeinen 
Staatsinteresse durchgeführt werden. Durch diese Maßnahmen wird auch
	        
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