Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (September 8.) 141
uns immer deutsche Fürstinnen zur Seite stehen, wie die große Kaiserin
und ihre erlauchte Tochter, welche die Not des Volkes mit liebender Hand
überall lindert. Das wird auch im neuen Jahrhundert trotz aller neuen
Geister und Ideen die alte monarchische Treue bewahren, sturmfest, als
Beispiel allen anderen Ländern. Ich neige Mich in Ehrfurcht vor dem er-
habenen Fürstenpaar, welches diese Idee in inniger Liebesarbeit zur Ver-
wirklichung gebracht hat und das seinem Lande und uns Allen ein Vor-
bild geworden ist. Ich erhebe Mein Glas mit den innigsten Wünschen
für das Haus, das Land und das Armeekorps Eurer königlichen Hoheit!
Seine königliche Hoheit der Großherzog hurra, hurra, hurra!“
8. September. (Berlin.) Der „Reichs-Anzeiger“ schreibt
im amtlichen Teile über die Erklärungen der deutschen Regierung
zur Dreyfus-Angelegenheit:
„Wir sind ermächtigt, nachstehend die Erklärungen zu wiederholen,
welche hinsichtlich des französischen Hauptmanns Dreyfus die Kaiserliche
Regierung, bei loyaler Beobachtung der einer fremden inneren Angelegen-
heit gegenüber gebotenen Zurückhaltung, zur Wahrung ihrer eigenen Würde
und zur Erfüllung einer Pflicht der Menschlichkeit abgegeben hat. Der
Kaiserliche Botschafter bei der französischen Republik Fürst Münster von
Derneburg hat nach Einholung der Allerhöchsten Befehle Seiner Majestät
des Kaisers im Dezember 1894 und Januar 1895 dem Minister des Aus-
wärtigen Herrn Hanotaux, dem Ministerpräsidenten Herrn Dupuy und
dem Präsidenten der Republik Herrn Casimir-Perier wiederholt Erklärungen
dahin abgegeben, daß die Kaiserliche Botschaft in Frankreich niemals, weder
direkt noch indirekt, irgendwelche Beziehungen zum Hauptmann Dreyfus
unterhalten hat. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Staatsminister
Graf von Bülow hat am 24. Januar 1898 in der Budgetkommission des
deutschen Reichstages folgende Erklärung abgegeben: „Ich erkläre auf das
allerbestimmteste, daß zwischen dem gegenwärtig auf der Teufelsinsel be-
findlichen französischen Exkapitän Dreyfus und irgend welchen deutschen
Organen Beziehungen oder Verbindungen irgend welcher Art niemals be-
standen haben.“
September. Die Presse über den Dreyfusprozeß.
Der Prozeß wird von allen Blättern lebhaft verfolgt und das Urteil
kommentiert. Im allgemeinen, mit Ausnahme der antisemitischen Zeitungen
wie der „Staatsbürger-Zeitung“, wird das Urteil als falsch bezeichnet und
Dreyfus als unschuldig angesehen. Die Blätter der Linken bringen die
schärfsten Angriffe auf die Richter, die als Fälscher, Meineidige u. s. w.
bezeichnet werden. Andere Blätter sehen in den französischen Generalen
dagegen nur Befangene und führen die Erregung der liberalen Presse auf
jüdischen Einfluß zurück. So schreibt die „Tägliche Rundschau"“: „Wenn
ein späterer Geschichtsschreiber die Dreyfuskrise und ihre Wirkung auf
Deutschland zu beschreiben haben wird, wird er vor einem Rätsel stehen
und er wird die Lösung nur finden in der ungeheuren Macht des Juden-
tums, der allbeherrschenden Stellung der jüdischen Presse am Ende des
neunzehnten Jahrhunderts. Ohne Berücksichtigung des Judentums wird
kein Zeitpsycholog mit der Dreyfus-Angelegenheit fertig werden, und wer
für die in diesen Tagen bis zum Ueberdruß abgenützten Phrasen von Mensch-
lichkeit und Gerechtigkeit einfach „Interessen des Judentums“ setzt, wird in
den meisten Fällen von der Wahrheit weniger abirren, als derjenige, der
unehrlich oder feige genug ist, die Judenfrage bei der Dreyfusangelegenheit
nach Möglichkeit auszuschalten.