Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 11.) 171
und führte mit erschreckender Deutlichkeit aller Welt vor Augen, welche
Bedeutung es hat, wenn eine Nation große Seeinteressen besitzt und nicht
die Mittel, sie zu verteidigen. Es trat ganz naturgemäß ein Drängen auf
eine schnellere Entwicklung der deutschen Flotte ein. Auf meinen Vortrag
wurde dann an maßgebender Stelle im Dezember vorigen Jahres die Ent-
scheidung getroffen, daß wir zwar nach Beendigung des Sexennats einer
Vermehrung unserer Flotte ernstlich näher treten müßten, daß aber zunächst
der Versuch gemacht werden müßte, das Flottengesetz in der Weise, wie es
vorlag, auszuführen und mit der Limitierung auszukommen. Diese Ent-
scheidung ist für mich die Grundlage gewesen für meine Erklärung in der
Budgetkommission, daß bei allen in Betracht kommenden Stellen die feste
Absicht bestehe, das Flottengesetz durchzuführen und die Limitierung inne
zu halten. Inzwischen gingen die historischen Ereignisse ihren Gang weiter
und zeigten uns immer deutlicher, welche Bedeutung es hat, wenn unsere
Wehrkraft eine solche Lücke zur See aufweist, wie sie unsere Flotte selbst
nach Durchführung des Flottengesetzes noch aufweisen würde. Die weitere
Durchführung des Flottengesetzes würde sich nun folgendermaßen gestaltet
haben. Nach Bewilligung des vorliegenden Etatsentwurfs würden sämtliche
Neubauten, die zur Erreichung des gesetzlichen Sollbestandes erforderlich
waren, auf Stapel gesetzt sein. Die Vermehrung der Marine würde damit
beendigt sein. Für die nächsten drei Jahre, die drei letzten Jahre des
Sexennats sind nur noch Ersatzbauten vorgesehen, und zwar war für die In-
baugabe von fünf großen Schiffen die geringe Summe von 35 Millionen aus-
geworfen. Nun würde sich durch die Preissteigerung und die Notwendigkeit,
unsere Munitionsbestände in erheblicher Weise zu vermehren, bei der Fessel
der Limitierung die Durchführung des Flottengesetzes in den drei letzten
Jahren so gestaltet haben, daß wir, wenn wir gleichzeitig den Ersatzbau
der kleinen Kreuzer durchführen wollten, große Schiffe überhaupt kaum auf
Stapel setzen könnten. Wollten wir aber den Ersatzbau der völlig ver-
alteten und gänzlich kriegsunbrauchbaren kleinen Kreuzer zurückstellen, so
hätten wir vielleicht in den letzten Jahren zwei bis drei große Schiffe auf
Stapel setzen können. Auf der einen Seite die dringende politische Not-
wendigkeit, unsere Flotte zu verstärken, auf der anderen Seite die Fessel der
Limitierung, welche uns zwang, fast drei Jahre für die Verstärkung unserer
Flotte unbenutzt vorübergehen zu lassen! Meine Herren, für meine eigene
Entscheidung kam noch ein weiterer Umstand hinzu. Ich hatte mir vorher
auszuführen erlaubt, daß ich nach Maßgabe der mir im Frühjahr 1897
zur Verfügung stehenden Kenntnisse unsere gesamte Leistungsfähigkeit nicht
höher geschätzt hatte als etwa die Aufstellung von zwei Linienschiffsgeschwadern
in den nächsten zehn Jahren. Als die Verhältnisse dringender wurden,
und die Notwendigkeit der Verstärkung unserer Flotte immer näher an
uns herantrat, habe ich mich durch persönliche Information auf den Privat-
werften und bei den dazu gehörigen Hilfsindustrien überzeugt, daß meine
frühere Schätzung der Leistungsfähigkeit zu gering gewesen war, und daß
ferner die Entwicklung dieser Industrie so rasch vorgeschritten war, daß
keine Schwierigkeiten für ein schnelleres Vorwärtsgehen bestanden. Ich
hatte ferner Projekte für die Vergrößerung unserer Werften und dazu
gehörigen Hafenanlagen ausarbeiten lassen, so daß ich übersehen konnte,
daß auch in diesem Punkte Schwierigkeiten nicht mehr vorlagen, zumal
wenn man in Betracht zieht, daß wir etwa 10 bis 12 Jahre für diesen
Ausbau zur Verfügung haben. Der Umfang der Anmeldungen zur Einstellung
als Offiziersaspirant und als sonstiges Berufspersonal in den letzten zwei
Jahren bewies ferner, daß die Personalfrage einem beschleunigteren
Vorgehen nicht im Wege stand. Meine Herren, gerade die gesetzliche