Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

176 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 13.) 
einrichten möchten. (Große Bewegung, hört! hört!) Ich habe eine Enquete 
veranlaßt über die Beziehungen unserer Schiffsbauindustrie zu den Hilfs- 
industrien, und ich habe mich davon überzeugt, daß sie noch mehr zusammen- 
arbeiten könnten, als es bisher der Fall war. Ich kann Ihnen die erfreu- 
liche Mitteilung machen, daß die Leistungen nach jeder Richtung höher sind, 
als ich bisher angenommen hatte. Ich stehe auf demselben Standpunkt 
wie der verehrte frühere Chef der Admiralität Herr v. Stosch, daß es nicht 
Sache der Marineverwaltung sei, sich schieben zu lassen, sondern selbst zu 
schieben. Die Arbeiter hätten den größten Vorteil von der Flotte, denn 
sie schütze die Industrie und schaffe Arbeit. 
13. Dezember. Minister v. Miquel wendet sich gegen Liebers Kritik 
der kaiserlichen Rede. Nun spricht der Abg. Lieber von unverantwortlichen 
Ratgebern und bezeichnet deutlich genug mich als mindestens einen der- 
selben, der das deutsche Volk bei Sr. Majestät verdächtigt hätte. Ich bin 
in dieser Sache weder ein verantwortlicher noch ein unverantwortlicher 
Ratgeber gewesen. Se. Majestät braucht keine Ratgeber (lebhafter Wider- 
spruch im Zentrum und links), um seiner Anschauung auf dem Gebiete der 
Flotte und Marine Ausdruck zu geben, jedenfalls wäre ich dazu der am 
wenigsten Berufene, und es wird Herrn Lieber nicht gelingen, für diese 
vorsichtig ausgedrückte Insinuation den allergeringsten Beweis zu erbringen. 
Und welche Idee, daß es irgend einem Menschen möglich wäre, Sr. Majestät, 
dem ersten Patrioten Deutschlands, das deutsche Volk zu verdächtigen! Es 
ist geradezu lächerlich, einen solchen Gedanken auch nur auszusprechen. 
Nun aber hat der Abg. Lieber, und das war vielleicht sein Zweck, die Ge- 
legenheit benutzt, mich als einen Mann hinzustellen, der keine eigene Ueber- 
zeugung habe, der seine Meinung fortwährend wandle und doch von der 
Höhe seiner eigenen Selbstüberschätzung aus alles Parteileben als schädlich 
und nachteilig bezeichne. Er stellt gegenüber den Kommunisten auf der 
einen und den Agrarier auf der anderen Seite. Ich habe nie geleugnet, 
daß ich in der Jugendzeit unter dem Eindruck des Jahres 1848, welches 
ich als Student erlebt, ganz unfähig, der Dialektik eines großen Denkers 
zu widerstehen, mich den Anschauungen von Karl Marx hingegeben habe. 
Das habe ich nie geleugnet und habe auch keinen Grund dazu; ich bin 
sogar dieser Entwicklungsperiode dankbar, aber diese in unreifer Jugend 
gewonnene Anschauung hat bei mir nur sehr kurze Zeit vorgehalten und 
schon in früher Jugendzeit habe ich mich von diesen Ideen durch gründ- 
liche historische und wissenschaftliche Studien befreit. Es fehlt nicht an 
solchen, die mir das nicht glauben wollen und in dem Ablehnen dieser 
Anschauung eine unberechtigte Wandelbarkeit meiner Auffassungen erblicken. 
Ich will Ihnen einen Zeugen vorführen, obwohl ich eigentlich keinen ge- 
brauchte, den Sie alle kennen, und dem, obwohl er mein Freund ist, nie- 
mand hier im Hause Parteilichkeit vorwerfen kann: den Wirklichen Geheim- 
rat Planck, den ersten Verfasser oder Mitarbeiter an der Herstellung des 
deutschen Zivilgesetzbuches. Er schreibt bei einer Gelegenheit an mich: 
„Wieder tritt vor meine Seele die Zeit, als Du in den fünfziger Jahren 
als Advokat hier in Göttingen warst und wir damals neben der hannove- 
rischen Politik eifrig Nationalökonomie trieben. Du warst damals schon 
von Deiner jugendlichen Schwärmerei für Marx geheilt. Gründliche ge- 
schichtliche und wissenschaftliche Studien hatten Dich von der Unhaltbarkeit 
und Undurchführbarkeit der Marx'schen Ideen überzeugt. Auf der anderen 
Seite erkanntest Du schon damals die ungeheure Wichtigkeit der sozialen 
Probleme, und ich erinnere mich noch mit Freuden der vielfachen Anregungen, 
die ich Dir verdanke. Auch die agrarischen Fragen bildeten damals schon 
den Gegenstand unsrer Gespräche; in Deiner ganzen politischen Thätigkeit
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.