Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 12./13.) 11
Ferner kommt in Betracht, ob das Aufsichts= und Ausbildungspersonal
auf die Dauer die Anstrengungen aushält, die die Mehrarbeit bei der ver-
kürzten Dienstzeit mit sich bringt. Auch hier liegen ausreichende Er-
fahrungen noch nicht vor. Daß aber die Anstrengung eine ganz un-
gewöhnliche ist, daß eventuell Abhilfe geschafft werden muß, das ist ja in
der Litteratur, in der Oeffentlichkeit schon häufig und klar dargelegt worden.
Wenn ich nun beide Seiten, die Vorteile und Nachteile der verkürzten
Dienstzeit, darzulegen versucht habe, so kann man an mich vielleicht die
Frage richten: wie denkt sich die Kriegsverwaltung die Zukunft? Diese
Frage ist positiv natürlich nicht zu beantworten. Das Gesetz selbst gibt
bereits den Weg an, den wir beschreiten wollen. Im Gesetz ist der Vorschlag
gemacht, daß jenen Mannschaften, welche ein drittes Jahr bei der Fahne
bleiben, bestimmte Vergünstigungen im Beurlaubtenverhältnisse zugebilligt
werden sollen. Wenn es gelingt, auf diesem Wege eine größere Zahl von
Mannschaften der Truppe zu erhalten, dann schwindet ein wesentlicher
Teil der Nachteile, die ich entwickelt habe. Gelingt das aber nicht, dann
muß hier die Gesetzgebung eingreifen, dann würde gesetzlich eine bestimmte
Quote festzusetzen sein, die noch über das zweite Jahr hinaus bei den
Fußtruppen bei der Fahne verbleibt. Es ist kaum nötig, daß sie ein
ganzes Jahr bleibt, man kann nach einem halben Jahre wechseln. Dann
gewinnen wir eine Hilfe für das Ausbildungspersonal und das Material
für die Unteroffizierchargen der Reserve= und Landwehrformationen. Also
der Weg ist hier bereits angedeutet. Ich glaube, daß eine Härte darin
nicht liegen würde; denn wenn bei den berittenen Waffen die 3jährige
Dienstzeit festgehalten wird und festgehalten werden muß, dann fällt doch
diese Gegenleistung der Infanterie nicht so schwer ins Gewicht. . . . . . Ich
möchte bei dieser Gelegenheit noch eine sehr ernste Angelegenheit zur Sprache
bringen, die mit der Ausbildung in der Armee in wesentlichem Zusammen-
hang steht. Es bedarf keines Beweises, daß derjenige Ersatz sich am besten
ausbilden läßt, der aus gutwilligen und moralisch intakten Leuten besteht.
Ich habe schon im vorigen Jahre gesagt, daß wir in dieser Hinsicht keine
günstigen Erfahrungen gesammelt haben. Ich habe erst in diesem Jahre
erschöpfendes Material mir verschaffen können. Die Nachweisungen reichen
bis 1882 zurück. In 10 Jahren hat sich die Zahl der vor ihrer Ein-
stellung bestraften Personen von 10,5 auf 19,2 Prozent erhöht. 1895 waren
41423 vorbestrafte Personen eingestellt. Ein Teil davon war mehrfach
vorbestraft, 1299 Personen waren sogar 6 — 10mal vorbestraft. Die Zahl
der Strafhandlungen hat um 86 Prozent, die Polizeibestrafungen um
142 Prozent zugenommen. Bei dieser Vorlage handelt es sich nicht um
plötzliche Entschließungen oder eine besondere Vorliebe für irgend eine
Organisation, sondern was gefordert wird, entwickelt sich naturgemäß aus
den Unvollkommenheiten, die eine große Organisation mit sich bringt.
Wenn man seine Stellung richtig auffaßt, meine ich, das deutsche Volk
und seine Vertretung hat das Recht und die Pflicht, Abhilfemaßnahmen
vorzunehmen. Ich hoffe, daß das hohe Haus die Vorlage einer Kommission
überweisen wird, und nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, wird
es mir eine Freude sein, an den Beratungen der Kommission teilzunehmen,
und ich habe die Ueberzeugung, daß das, was die Kommission vorschlagen
wird, zum Heile Deutschlands und der Armee ausfallen wird.
Abg. Richter (fr. Vp.): Die letzten Ziffern des Kriegsministers
eignen sich nicht zu näheren Betrachtungen; es gibt eine Menge von Be-
strafungen auf Grund der Steuergesetze, auf Grund von polizeilichen Ver-
ordnungen u. s. w., die durchaus keinen sittlichen Mangel bekunden. Die
Kriminalstatistik zeigt eine Abnahme der Verbrechen, die einen sittlichen