262 Belgien. (August 28. —Oktober 27.)
Aenderung in der Einteilung der Wahlkreise, insbesondere eine Zusammen-
legung derjenigen Wahlbezirke, welche nur einen Abgeordneten zu wählen
haben. 2. Den Anspruch auf Vertretung besitzt jede Partei, die eine
bestimmte, in jedem Wahlkreise wechselnde Stimmenzahl aufbringt. Dieselbe
wird ermittelt, indem man die Gesamtzahl aller gültig abgegebenen Stimmen
durch die der zu wählenden Abgeordneten teilt. Werden zum Beispiel im
Wahlbezirk Brüssel, welcher 18 Abgeordnete in die Kammer entsendet,
180000 Stimmen abgegeben, so hat jede Partei, welche 10000 Stimmen
auf sich vereinigt, Anspruch auf einen Vertreter. 3. Da es sicher ist, daß
keine Partei in irgend welchem Wahlbezirke sämtliche Kammermandate
erhalten wird, so wird ihr auch nicht mehr das Recht eingeräumt, eine
vollständige Kandidatenliste aufzustellen. Vielmehr darf sie nur so viele
Kandidaten namhaft machen, als sie „voraussichtlich" durchzubringen vermag.
Als Gradmesser für diese Wahrscheinlichkeitsrechnung dient die Statistik der
letzten allgemeinen Parlamentswahlen. Da man sich indessen doch bei dieser
Voraussicht täuschen kann, so ist jede Partei berechtigt, neben der Hauptliste
eine Ersatzliste aufzustellen, aus der dann noch der eine oder andere Ab-
geordnete entnommen wird, falls die Partei doch mehr Stimmen aufbringt,
als sie erwartet. Um zum Brüsseler Beispiel zurückzukehren, wurden im
Jahre 1896 in diesem Wahlbezirke folgende Stimmen abgegeben: 90000
klerikale, 40000 liberale, 40000 sozialistische und 35.000 radikale Stimmen.
Die Klerikalen waren gewählt, obwohl sie mit 25000 Stimmen in der
Minderheit blieben. Nach dem neuen Gesetz haben sie mit ihren 90000
Stimmen höchstens auf 8 Stimmen Anspruch, die übrigen zehn fallen den
Oppositionsparteien nach Verhältnis der von ihnen aufgebrachten Stimmen
zu. Folglich darf die klerikale Partei in Brüssel nur eine Hauptliste von
acht Kandidaten und dazu eine Ersatzliste aufstellen, die fünf Ersatzkandidaten
nicht übersteigen darf. Erhält sie bei der Wahl mindestens 101 400 Stimmen,
so find ihre acht Hauptkandidaten und ein Ersatzkandidat gewählt. Sie
erhält somit neun statt acht Mandate. 4. Es finden im Laufe einer Legis-
laturperiode keine Nachwahlen statt. An die Stelle verstorbener oder aus-
geschiedener Abgeordneter rücken die auf den Ersatzlisten befindlichen Ersatz-
kandidaten vor. (Nach der „Allg. Ztg.")
28. August. (Brüssel.) Ein Kongreß der belgischen Sozial=
demokratie beschließt, dem Generalrat der Arbeiterpartei zu über-
lassen, welche Mittel zur Bekämpfung der neuen Wahlvorlage an-
gewendet werden sollen. — Die Forderung, wieder zu Massen-
demonstrationen zu schreiten, wird abgelehnt, weil die liberale Partei
diesmal nicht gemeinsame Sache mit den Sozialisten machen würde.
31. August. Die Kammer verwirft mit 59 gegen 31 Stim-
men einen Antrag auf Einführung des allgemeinen Stimmrechts.
15. Oktober. Bei den Munizipalwahlen verlieren die Katho-
liken mehrere Mandate gegen die vereinigten Liberalen und So-
zialisten.
27. Oktober. Die Kammer genehmigt mit 75 gegen 55 Stim-
men Artikel I der Wahlreformvorlage.
Einige radikale Abgeordnete stimmen mit der Regierungsmehrheit,
wogegen sich etwa 20 Abgeordnete der Rechten unter Führung des Staats-