Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

20        Das Dentshe Reit und seine einzelnen Glieder. (Januar 17.)
 
Lippe-Schaumburg, die Biesterfelder und die Weißenfelder Linien der Grafen 
von Lippe. Der Fürst von Lippe-Schaumburg ist nur als Mitglied der 
Linie Lippe-Alverdissen mit dem Hause Lippe-Detmold verwandt. Die drei 
Thronprätendenten vereinbarten einen Schiedsrichterspruch, was durch ein 
Schiedsgerichtsgesetz in Lippe-Detmold gutgeheißen wurde. Das Schieds- 
gericht trat unter dem Vorsitze des Königs von Sachsen zusammen. Es 
kam auf die Entscheidung der Frage an, ob die Reichsgräfin Modeste 
v. Unruh, die ein Biesterfelder geheiratet hatte, ebenbürtig war oder nicht, 
vielmehr dadurch den bacillus ignobilis (große Heiterkeit) in diese fürst- 
liche Familie hineingetragen hatte. Drei Rechtslehrer, untern andern Laband 
und Bornhack, stellen sich in diesem Streite auf die Seite von Lippe- 
Schaumburg. Sie weisen auf die Unebenbürtigkeit und außerdem darauf 
hin, daß die Biesterfelder nie Apanage bezogen hätten, auch hätten letztere 
ihre Zugehörigkeit zur fürstlichen Familie gelockert, sich nie als Erbherren 
benommen. Der Schiedsrichterspruch ist trotzdem zu Gunsten des Grafen 
Ernst zur Lippe-Biesterfeld ausgefallen. Bedauerlicherweise hat der Spruch 
übersehen, die Frage auch für die Descendenz zu regeln, sodaß der Graf 
seine Nachkommen, sie mögen noch so blaublütig sein, nicht gleichzeitig 
anerkannt sieht. Um diese Lücke auszufüllen, wollte die Lippesche Regie- 
rung ein Gesetz verabschieden lassen; aber der Fürst von Lippe-Schaumburg 
protestirte sofort dagegen unter dem Vorgeben, der Sohn des Grafen Ernst 
stamme aus einer noch viel schlimmeren Mischehe. Der Graf hat nämlich 
eine Gräfin Wartensleben geheiratet, die das große Unglück hat, eine 
bürgerliche Mutter zu haben. Zuerst ignorierte die Lippesche Regierung 
diesen Anspruch und darauf wandte sich der Fürst von Lippe-Schaumburg 
an den Bundesrat, um auf Grund des Art. 76 der Verfassung eine Ent- 
scheidung herbeizuführen. Der Antrag ging dahin, der Bundesrat solle 
dem Graf-Regenten und der Regierung verbieten, die Thronfolge im Land- 
tage zur Entscheidung zu bringen. Dadurch sollte dem Fürstentum Lippe- 
Detmold direkt in den Arm gefallen und gewaltsam die Ordnung seiner 
Landesangelegenheit verhindert werden. Der Bundesrat hat nun am 
5. Januar jenen kuriosen Beschluß gefaßt, der das Kopfschütteln des ganzen 
Deutschen Reiches erregt, der ganz so anmutet, als sei der selige Bundestag 
in der Eschenheimergasse wiedererstanden. (Unruhe rechts.) Dieser Spruch 
ist das Schlimmste, was dem Lande, seiner Regierung und seinen Beamten 
zugefügt werden konnte. Während der letzten fünf Jahre hat sich das 
Beamtentum dort zu einer charakterfesten Stellungnahme nach irgendeiner 
Seite nicht entschließen können. Die Hinausschiebung der Entscheidung hat 
in dem Ländchen einen unerträglichen Zustand erzeugt, auf den die Reichs- 
verdrossenheit in erster Linie zurückgeführt werden muß. War denn der 
Bundesrat zu solchem Beschluß legitimiert? Die Lipper sagen Nein! 
Nach Art. 76 unterliegen Streitigkeiten von verschiedenen Bundesstaaten 
auf Anruf eines Teiles der Erledigung durch den Bundesrat. Dieser hat 
bei seiner Entscheidung den Wortlaut des Artikels nicht respektiert; er 
hatte den Streit zu erledigen, nicht aber die sachliche Entscheidung zu ver- 
tagen. Solche Allmacht hat der Bundesrat nicht, wenn sie ihm auch 
paßte, um vielleicht momentanen Konflikten aus dem Wege zu gehen. Es 
handelt sich auch nicht um einen Streit von Bundesstaaten, es handelt sich 
um eine Frage des Privat-Fürstenrechts, ob infolge des Dazwischentretens 
der genannten beiden Damen die Biesterfelder von der Succession in die 
Lippe-Detmoldische Erbfolge ausgeschlossen sein sollten. Solche Fragen sind 
von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden. War das Lippe-Detmolder 
Landgericht nach der Meinung des Fürsten von Schaumburg-Lippe befangen, 
dann konnte er ja die Richter perhorrercieren, das Oberlandesgericht und
	        
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