22 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 21. 21./24.)
(kons.) ab, eine verschärfte Strafe für die Veröffentlichung von ver-
traulichen Aktenstücken einzuführen.
21. Januar. Der „Reichs-Anzeiger“ schreibt über die Be-
ziehungen zu den Vereinigten Staaten:
Die deutsche Presse hat in der letzten Zeit wiederholt mit den Be-
ziehungen zwischen den deutschen und amerikanischen Seeoffizieren auf der
ostasiatischen Station sich beschäftigt. Wir sind in der Lage, auf Grund
mehrerer in der letzten Zeit eingetroffenen Berichte festzustellen, daß das
Verhältnis zwischen den genannten Offizieren nicht nur frei von jeder
Spannung ist, sondern daß der Verkehr im Gegenteil einen sehr entgegen-
kommenden und herzlichen Charakter trägt, wie dies gelegentlich wieder-
holter Besuche, Einladungen ect. zum Ausdruck gekommen. Das Verhalten
der deutschen Seeoffiziere ist stets in jeder Beziehung korrekt gewesen.
21./24. Januar. (Preußischer Landtag.) Etatsberatung.
Verschuldungsfrage; Vorgehen gegen Delbrück; Nichtbestätigung
Kirschners; Erlaß über Waffengebrauch; Polenfrage.
Abg. Richter (Fr. Vp.) kritisiert die Finanzpolitik, die auf
Thesaurierung in Preußen und steigende Verschuldung im Reiche hinaus-
laufe und tadelt die Absicht, die Wasserbauverwaltung mit dem Land-
wirtschaftsministerium zu verbinden. Der Redner polemisiert gegen die
Unterrichtsverwaltung, die die jüdischen Lehrer zurücksetze und verurteilt
das Vorgehen gegen Prof. Delbrück. Die Nachricht von dem Bombenattentat
in Aegypten sei ein Wahlschwindel gewesen. Der Erlaß über den Waffen-
gebrauch widerspreche den preußischen Traditionen. Der Verwaltungs-
gerichtsbarkeit wird von der Polizei in Berlin illusorisch dadurch gemacht,
daß die Polizeibehörden mit Wissen der Minister auf einen Beschluß der
Stadtbehörden keinen Bescheid erteilt haben bezüglich des Friedhofes der
Märzgefallenen. Diese Verzögerung steht im Zusammenhang mit der Ver-
zögerung der Bestätigung des Ober-Bürgermeisters Kirschner von Berlin,
der am 23. Juni gewählt worden ist. Die Frage hat eine allgemeine Be-
deutung für das Land. Man sagt, der Minister des Innern habe die
Bestätigung befürwortet, sie liege aber im Zivilkabinet. Gleichgültig aber,
wie die Sache liegt, der Minister des Innern allein ist verantwortlich für
das, was geschieht und nicht geschieht. Die Inschrift an dem Eingangstor
des Friedhofs soll beanstandet sein. Man sollte meinen, daß sie einen
revolutionären Charakter hätte. Sie heißt einfach: „Ruhestätte der in den
Märztagen in Berlin 1848 Gefallenen.“ Das ist doch eine Tatsache. Die
Märzkämpfe sind ein Glied in der Kette der historischen Ereignisse, aus
denen Preußen als Verfassungsstaat hervorgegangen ist. Man hat die ge-
fallenen Soldaten geehrt durch ein Denkmal im Invalidenpark. Dagegen
hat niemand etwas einzuwenden gehabt. Hier handelt es sich nicht um
ein Denkmal, nur um eine Ruhestätte, darum, zu verhüten, daß diese
Ruhestätte nicht zum Schindanger gemacht wird. Will man das aber ab-
sichtlich herbeiführen, so würde mir eine solche Kleinigkeit geradezu un-
verständlich sein. Wenn die Regierung erklären wollte, daß es sich nur
um eine Verkettung von Zufälligkeiten handelt, so würde das am meisten
im Interesse der Regierung liegen. Es bleiben ohnehin noch große Fragen
genug übrig, die zu gerechter Unzufriedenheit Veranlassung geben und bei
denen wir auf Abhilfe nicht hoffen bei der Zusammensetzung der Regierung.
Abg. Graf Limburg-Stirum (kons) betont die Not der Land-
wirtschaft, die durch den Rückgang der Pachtgelder um 22 Prozent illustriert