Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 16.) 67
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe: Meine Herren, ich will nicht
nochmals die militärisch technischen Nachweise führen für die Vorteile, welche
die Vorlage bei vollkommener Durchführung bieten würde. Im Hinblicke
jedoch auf die militärische Wirksamkeit, welche die von Ihrer Kommission
bewilligten Formationen besitzen, und in der Erwägung, daß deren Durch-
führung eine Verzögerung nicht erleiden darf, haben die verbündeten Re-
gierungen sich entschlossen, der Vorlage auch in der veränderten Form, wie
sie sich aus dem heute eingebrachten Antrage ergibt, zuzustimmen. Diese
Erklärung vermag ich namens der verbündeten Regierungen nur unter dem
Vorbehalt abzugeben, daß dieselben entschlossen sind, vor Beendigung der
in der Vorlage festgesetzten Zeit an das hohe Haus mit erneuten Anträgen
heranzutreten. Nach dem Wortlaut der vier Resolutionen und den eben
gehörten Erklärungen des Abg. Lieber glauben die verbündeten Regierungen
die Zuversicht haben zu können, daß ihre in der Vorlage geforderten For-
mationen, wenn auch nicht zur Zeit, so doch rechtzeitig die Genehmigung
des hohen Hauses finden werden.
Abg. v. Levetzow (kons.): Die Konservativen würden unter Vor-
aussetzung der Annahme der Resolutionen für die Kommissionsbeschlüsse
stimmen. — Abg. Bassermann (ntl.): Meine politischen Freunde hätten
es auf das Tiefste bedauern müssen, wenn zwischen der Regierung und dem
Parlament ein Konflikt entstanden wäre. Einmal wegen des Eindruckes
auf das Ausland und auch wegen der Einwirkung auf die Verhältnisse im
Innern. In dem Augenblicke, wo die bürgerlichen Parteien mit der Re-
gierung in Streitigkeiten geraten, würden die Sozialdemokraten die Früchte
ernten. Es sind auch Bestrebungen vorhanden, die auf eine Abänderung
der Verfassung zielen, die, wenn sie siegen sollten, zu schweren inneren
Wirren führen würden. Es kann unsere Aufgabe nicht sein, diese Bestre-
bungen zu fördern durch einen Konflikt in Militärfragen. Ein weiterer
Gesichtspunkt ist, daß die Bewilligungen für die Artillerie diese auf eine
neue Grundlage stellen. Diese Bewilligungen sollte man nicht durch einen
Wahlkampf aufs Spiel setzen. Wir werden für die Anträge Lieber stimmen.
Nachdem die verbündeten Regierungen die Bereitwilligkeit ausgesprochen
haben, den Versuch zu machen mit der vorgeschlagenen Bewilligung, und
nachdem in Aussicht gestellt ist, daß eine Verbesserung der Vorlage später
noch nachgeholt werden kann durch die Resolution IV, wird uns die An-
nahme der Vorlage erleichtert. Wir sind der Meinung, daß die Annahme
der Vorlage von vielen Vaterlandsfreunden mit Freuden begrüßt werden
wird. (Zustimmung rechts und bei den Nationalliberalen).
Abg. Bebel (Soz.): Daß die Herren vom Zentrum ihre Stellung
ändern würden, hat Herr Lieber schon bei der zweiten Lesung deutlich aus-
gesprochen und die verbündeten Regierungen werden nicht verfehlen, der
Aufforderung des Herrn Lieber Folge zu leisten und in 1 oder 2 Jahren
ihre Vorlage zu machen. Bei den früheren Militärvorlagen hat man
wenigstens den Vorbehalt gemacht, daß die Deckung der Kosten nicht gesucht
werden dürfe in Steuern, die die breiten Massen und den Mittelstand be-
lasten; aber diesmal hat man das versäumt, und bei den großen Kosten
ist es nicht ausgeschlossen, daß man zur Deckung auf die Erhöhung von
Steuern auf Lebensmittel zurückgreifen muß. Die Steigerung der Militär-
lasten Deutschlands sei um so weniger notwendig, als es den Franzosen
gleichkomme und als im französischen Parlament offen erklärt worden sei,
daß Frankreich an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angekommen sei.
Rußland sei in keiner Weise geneigt, zu Gunsten Frankreichs einen Krieg
zu beginnen; dieser Meinung habe auch im Januar die Kreuzzeitung Aus-
druck gegeben.
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