Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

78 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 13./18.) 
Wahl am 15. Juni v. J. war Kreitling mit geringer Majorität 
gewählt worden. 
Mitte April. (Sachsen.) Das Ministerium erläßt eine 
Standesordnung für Ärzte. 
Diese untersagt jede ärztliche Reklame als der Würde des Standes 
nicht entsprechend. Der Kauf und Verkauf der Praxis soll nicht statthaft 
sein, ebenso die mißbräuchliche Bezeichnung als Spezialist und die briefliche 
Behandlung der Kranken. Ein Arzt darf einen Kranken aus der Behand- 
lung eines anderen nur übernehmen, wenn dieser rechtzeitig davon benach- 
richtigt ist. Der behandelnde Arzt muß die Zuziehung eines zweiten Arztes 
gestatten, dieselbe kann aber nur in Uebereinstimmung mit ihm geschehen. 
Ein Arzt muß in dringenden Fällen dem anderen assistieren. Unzulässig 
ist es, einen Berufsgenossen durch das Anbieten billiger oder unentgeltlicher 
Hilfe zu verdrängen; unbemittelten Kranken das Honorar ganz oder teil- 
weise zu erlassen, steht dem Arzt frei. Verboten ist, über die Wirkung so- 
genannter Geheimmittel Zeugnisse auszustellen oder mit Nichtärzten zu- 
sammen Patienten zu behandeln. 
13./18. April. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Vor- 
lage über den Bau eines Kanals vom Rhein bis zur Elbe (Mittel- 
landkanal). (Vgl. S. 68.) Verweisung an eine Kommission. 
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen: Der Gesetzentwurf bringt 
Ihnen nicht wesentlich neue Pläne, denn das Projekt ist bereits vielfach 
erörtert worden seit Anfang der achtziger Jahre. Auch aus dem Lande 
sind wesentlich neue Gedanken für und wider weder in der Presse, noch in 
den Versammlungen, noch in den Denkschriften aufgestellt worden. Um so 
mehr hat sich die Staatsregierung für verpflichtet erachtet, die Vorlage 
sorgfältig vorzubereiten. Der Bau eines solchen Schiffahrtskanales ist seit 
1840 mehrfach geplant und immer wieder als eine wirtschaftliche Not- 
wendigkeit hingestellt worden, auch von beiden Häusern zuletzt in dem Ge- 
setze von 1886, das die Regierung zum Bau des Dortmund-Emskanals und 
des Oder-Spreekanales ermächtigte. Es kann mit Recht bezweifelt werden, 
ob es richtig war, von den Kanälen zunächst den Dortmund-Emskanal aus- 
zuführen. (Sehr richtig! links.) Es würde aber heute von keinem Wert 
sein, darüber retrospektive Betrachtungen anzustellen. Der Kanal von 
Dortmund zum Rhein ist vom Hause abgelehnt worden. Die Folge davon 
war, daß nicht mehr die vorteilhaftere Linie, sondern die unvorteilhaftere 
durch das Emscherthal gewählt werden mußte. Das neue Projekt kostet 
ebenso viel wie das abgelehnte mit allen geplanten Abzweigungen. Nur 
nach einer Richtung hat die Ablehnung des Dortmund-Rheinkanals ihr 
Gutes gehabt; man ist im Lande und in der Staatsregierung zu der Ueber- 
zeugung gekommen, daß nur die vollständige und gleichzeitige Ausführung 
des gesamten Kanals im stande sein wird, dem Verkehrsbedürfnis Rechnung 
zu tragen und eine eminente Landesmelioration herbeizuführen. Oestlich 
der Elbe hat Preußen seine Wasserstraßen ausgebaut, ohne daß jemals ein 
Widerspruch von den Landesteilen westlich der Elbe erhoben worden wäre. 
Oestlich der Elbe hat man sich aber stets anerkennend über die Bedeutung 
der Wasserstraßen ausgesprochen. Ich darf nur erinnern an die Weichsel- 
regulierung, an den Großschiffahrtsweg um Breslau herum, an die Her- 
stellung der masurischen Seenverbindung, an die Verbindung Stettin-Berlin 
und an den Teltowkanal. Schrittweise ist der Staat vorgegangen mit der 
Ausführung dieser Projekte. Er wird das auch in Zukunft thun, ohne
	        
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