Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 13./18.) 81
auch für die ausländische Produktion zu billigen Tarifen befahrbar. Die
Garantien, welche von verschiedenen kommunalen und sonstigen Verbänden
übernommen sind, sind mir durchaus nicht ausreichend. Grunderwerbskosten
für den Dortmund-Emskanal, die von den Ruhrkohlenbesitzern getragen
werden sollten, sind heute noch nicht gezahlt, weil die Besitzer der reichen
Kohlenwerke dazu nicht im stande sind, trotz der großen Verdienste, die sie
erzielen. Wenn Herr Schmieding 1896 recht hatte, daß das Ruhrkohlen-
gebiet die Hälfte oder auch nur ein Viertel der Eisenbahnüberschüsse ein-
bringt, dann wird die Einbuße, die die Eisenbahn durch den Kanal erleiden
wird, eine sehr viel erheblichere sein, als die Vorlage berechnet. Herr von
Maybach hatte Bedenken gegen die Wasserstraßen, weil sie im Winter zu-
frieren und nicht zur Entlastung der Eisenbahnen beitragen, wenn es gerade
am nötigsten ist. Nicht bloß die Massengüter werden den Wasserverkehr
vorziehen, sondern auch die hochwertigen Güter, weil für sie die Eisenbahn-
frachten sehr hoch sind, so daß die Ersparnis sehr erheblich ist. Nicht
50 — 66 Millionen, sondern 100 —120 Millionen Mark wird der Ausfall
der Eisenbahneinnahmen betragen. 66 Millionen Mark repräsentieren ein
Kapital von 2 Milliarden Mark, das wir dem Kanal zum Opfer bringen.
Diese Milliarden könnten wir in anderer Weise verwenden, auch für Eisen-
bahnbauten, nicht bloß in den Distrikten, die ohnehin wohlhabend sind,
sondern auch in den ärmeren Landesteilen. Das wird für die Landes-
wohlfahrt und die Landesverteidigung wichtiger sein. Welche Vorteile soll
der Kanal bringen! Er soll den Austausch der Produkte des Ostens und
Westens ermöglichen. Für die Landwirtschaft des Ostens wird dieser Vor-
teil gleich Null sein, denn es wird nicht möglich sein, landwirtschaftliche
Produkte nach dem Westen abzusetzen. Dem stehen die langen Transport-
fristen und namentlich die Unterbrechung der Schiffahrt im Winter, wo
das Getreide verschickt werden müßte, entgegen. Ostpreußen hat aber keine
direkte Wasserverbindung, müßte also immer noch die Eisenbahn auf langen
Strecken benutzen. Wenn die Wasserstraßen das leisten sollen, was die
Staffeltarife nicht mehr leisten können, weil sie aufgehoben sind, warum
hat man die Staffeltarife denn aufgehoben? Weil sie auf die Märkte des
Westens drückten! Die westliche Landwirtschaft ist über die Wirkungen
der Kanäle sehr verschiedener Ansicht. Ich halte es für ausgeschlossen,
daß wir neue Handelsverträge bekommen. Wir werden keine Gegenliebe
bei den anderen Staaten finden. Der österreichische Handelsvertrag ist ab-
geschlossen worden in der Voraussetzung, daß die Oesterreicher allein von
dem Vertrage einen Vorteil haben würden. Die Oesterreicher werden keinen
neuen Vertrag abschließen, denn sie haben keinen Vorteil davon gehabt,
sondern nur Nachteile. Für die Landwirtschaft steht vom Kanal ein direkter
Schaden ziemlich sicher in Aussicht, namentlich durch den immer fühlbarer
werdenden Arbeitermangel. Nicht die Arbeiten für den Kanal werden eine
erhebliche Arbeiterzahl in Anspruch nehmen, sehr viel schwerwiegender ist
die Frage: Wie soll der Arbeiterbedarf in den Industriebezirken gedeckt
werden, wenn die Industrie einen weiteren Aufschwung nimmt? Die letzte
Zählung dieser Abwanderung hat 1890 stattgefunden; bei der nächsten
Zählung wird die Ermittelung wieder angestellt werden. Die Arbeiterzahl
in den Kohlenbergwerken hat sich von 80000 auf 180000 gesteigert und
trotzdem sind die Kokereien nicht im stande, ihre Bestellungen zu erledigen.
Die Industrie wird durch den Kanal nicht dezentralisiert werden, der
Arbeiterzustrom wird sich vielmehr noch steigern, wenn neben den Kohlen-
bergwerken sich die Eisenindustrie noch mehr etabliert. Die Provinz Schlesien
hat auch ein gewisses Recht auf diejenigen Absatzgebiete, die heute von ihr
versorgt werden. Die Kompensationen, die Schlesien fordert, sind vom
Europäischer Geschichtskalender. XL. 6