84 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 14.)
Kohlentransporte am meisten in Anspruch genommen sind. Wenn die
Kohlenzechen nicht vorsichtig sind, so haben sie es sich selbst zuzuschreiben.
Die abfälligen Urteile über den Kanal werden nicht gefällt auf Grund
objektiver Studien, sondern weil der Wille, den Beweis zu haben, von
vornherein vorhanden war. (Widerspruch rechts, Zustimmung links.) Der
Landtag wollte 1896 kein Stückwerk, sondern das ganze Projekt, jetzt will
man gar nichts mehr. Bleiben Sie also bei Ihrer ersten Liebe! (Heiter-
keit und Beifall.)
Am 15. April betont Landwirtschaftsminister Frhr. v. Hammer-
stein den Nutzen des Kanals für die Landwirtschaft, da er durch Schaffung
niedriger Frachten die Produktionskosten verbillige. Abg. v. d. Borght
(nl.): Die Kanäle seien notwendig, weil die Eisenbahnen den Verkehr nicht
mehr bewältigen könnten. Auch in Frankreich sei der Wasserverkehr be-
deutend gestiegen. Der Kanal komme nicht einem bestimmten Interessen-
gebiete, sondern der ganzen Monarchie zu gute, weil er Eisen und Kohle
verbillige. — Am 17. April erklärt Handelsminister Brefeld den Kanal
für den Absatz des stetig größer werdenden westfälisch-rheinischen Industrie-
bezirks für unentbehrlich. Die Wasserstraßen seien leistungsfähiger als die
Eisenbahnen. Abg. Gamp (frkons.) protestiert gegen den wiederholt aus-
gesprochenen Vorwurf, daß die Kanalgegner Sonderinteressen vertreten.
Der Landwirtschaft könne man durch Reform der Armen- und Schullasten,
Wegebesserungen u. dergl leichter Verbilligung der Produktion schaffen als
durch den Kanal. Der Kanal werde die Arbeiternot im Osten noch er-
höhen. — Nachdem am folgenden Tage noch die Abgg. v. Pappenheim
(kons.) und Sümmermann (kons.) die Vorlage bekämpft, die Minister
Miquel und Brefeld, die Abgg. v. Moltke (frkons.) und v. Eynern
(nl.) sie verteidigt haben, wird die Vorlage an eine Kommission von
21 Mitgliedern verwiesen.
Die Presse beteiligt sich lebhaft an der Diskussion der Kanalfrage.
Ein Teil der kanalfreundlichen Blätter behauptet, das Staatsministerium
sei in dieser Frage nicht einig, namentlich sei der Vizepräsident v. Miquel
im Herzen ein Gegner des Kanals. Die „Nordd. Allg. Ztg.“ tritt diesen
Behauptungen entgegen.
14. April. (Reichstag.) Interpellation über die Vorgänge
auf Samoa. Erklärung Bülows. Preßurteile.
Abg. Lehr (nl.) bringt, unterstützt von den meisten Parteien folgende
Interpellation ein: „Ist der Herr Reichskanzler bereit, über die Vorgänge
vor und auf Samoa, sowie über die von der Regierung getroffenen und beabsich-
tigen Maßnahmen Auskunft zu geben?" In der Begründung führt er aus, daß
die Vorgänge große Erregung hervorgerufen hätten. Er kritisiert scharf
das Vorgehen Englands und Amerikas und fordert eine starke Flotte, um
die Wiederholung ähnlicher Demütigungen zu verhüten.
Staatssekretär v. Bülow: Ich bin gern bereit, meine Herren, mich
über eine Angelegenheit auszusprechen, welche die öffentliche Meinung mit
Recht lebhaft beschäftigt, und die für die Regierung seit Wochen ein Gegen-
stand ernster Aufmerksamkeit ist. Auf der anderen Seite werden sie es
verstehen — und ich denke, auch der Herr Antragsteller wird es verstehen
(sehr gut! links), — wenn ich in meiner amtlichen und verantwortlichen
Stellung nicht Dinge sagen werde, welche eine friedliche Beilegung der ent-
standenen Schwierigkeiten in Frage stellen könnten. (Sehr wahrl!) Ueber
die Vorgeschichte der jüngsten Wirren auf Samoa habe ich mich in der
Budgetkommission ausgesprochen und ich habe namentlich darauf hinge-
wiesen, wie es seit dem Inkrafttreten der Samoa-Akte doch selten weder an