Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 8.) 5
aber das Gefühl der Verantwortlichkeit, und das habe ich soeben bei dem
Herrn Vorredner vermißt (Sehr gut.) Ich habe vor einigen Tagen
keinen Zweifel darüber gelassen, daß es durchaus berechtigt war, wenn
unsere öffentliche Meinung den Versuch und auch nur den Schein, als ob
die Ehre unserer Armee irgendwie angetastet werden könnte, mit Ent-
schiedenheit zurückgewiesen habe. Wenn aber diese Zurückweisung nur ein
Vorwand sein sollte, um uns eine andere Haltung aufzunötigen gegenüber
dem südafrikanischen Kriege, oder ein Prätext, um unfreundliche, feindliche
Beziehungen herbeizuführen zwischen unserem Volke und einem Volke, dem
wir nie feindlich gegenübergestanden haben und mit dem uns zahlreiche
und schwerwiegende Interessen verbinden, so will ich nicht den mindesten
Zweifel darüber lassen, daß ich so etwas nicht mitmache. (Bravol) Durch
Reden, Resolutionen und Volksversammlungen können wir uns die Rich-
tung der auswärtigen Politik nicht vorschreiben lassen. (Sehr gut!) Die
wird lediglich bestimmt durch das reale und dauernde Interesse des Bundes,
und dies weist uns darauf hin, unter voller Aufrechterhaltung unserer
Würde und Ehre mit England friedliche und freundliche Beziehungen zu
pflegen. (Sehr richtig!) Dies und nichts anderes hat auch der kaiserliche
Botschafter in London sagen wollen. Zwischen dem, was er gesagt hat,
und dem, was ich neulich hier gesagt habe, besteht kein Gegensatz. Daß
uns die Aufrechterhaltung freundlicher Beziehungen mit England nicht
gerade erleichtert worden ist durch den Vorfall, der uns seit einigen Tagen
beschäftigt, werden mit mir alle einsichtigen Kreise nicht nur in Deutsch-
land, sondern auch in England bedauern. Ich kann nur die Hoffnung
aussprechen, daß uns durch allseitige Besonnenheit in der Zukunft solche
Zwischenfälle erspart werden mögen, die uns eine Haltung erschweren, die
ebenso sehr dem englischen und dem deutschen Interesse entspricht, wie
demjenigen der Aufrechterhaltung und Sicherstellung des Weltfriedens
Ich kann aber nicht schließen, ohne auch noch meinem Bedauern Ausdruck
zu geben über die Art und Weise, wie der Herr Vorredner sich über inner-
österreichische Verhältnisse ausgesprochen hat. Wenn wir es nicht gern
haben, wenn wir unter Umständen es uns sehr ernstlich verbitten, daß
man sich in unsere inneren Angelegenheiten einmischt, dann müssen wir
auch die inneren Angelegenheiten anderer Länder mit demjenigen Takt
behandeln, der nach wie vor die beste Grundlage für korrekte internationale
Beziehungen ist. (Lebhafter Beifall auf allen Seiten des Hauses.)
8. Januar. Der Preußische Landtag wird vom Minister-
präsidenten Graf Bülow mit folgender Thronrede eröffnet:
Erlauchte, edle und geehrte Herren von beiden Häusern des Land-
tages! Seine Majestät der Kaiser und König haben mich mit der Eröff-
nung des Landtages der Monarchie zu beauftragen geruht. Die Ungunst
der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse hat auf die Gestaltung der
Staatsfinanzen im laufenden Etatsjahre nicht ohne Einfluß bleiben können.
Während die Rechnung für das Vorjahr 1900 noch mit einem beträcht-
lichen Mehrertrag abschloß, ist für das Etatsjahr 1901 nach den bisherigen
Ergebnissen ein günstiger Abschluß nicht zu erwarten, indem namentlich
die Einnahmen der Staatseisenbahnen wesentlich hinter dem Voranschlag
zurückbleiben werden. Der Entwurf des Staatshaushaltsetats für 1902
wird Ihnen alsbald vorgelegt werden. In demselben haben die Ein-
nahmen des Staates im Hinblick auf den Rückgang der Ueberschüsse der
Staatsbetriebe besonders vorsichtig und deshalb niedriger als im laufenden
Etatsjahre veranschlagt werden müssen. Auch fällt in das Gewicht, daß
die Deckungsmittel für den eigenen Bedarf Preußens durch die ungünstige