Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember.) 181 
steht es ähnlich. Jedenfalls haben wir den Wunsch, und wir haben das 
Bestreben, auf für uns annehmbarer Basis — diese fünf Worte unterstreiche 
ich, und da liegt der große Unterschied in der Auffassung des Herrn Abg. 
Dr. Barth und derjenigen der verbündeten Regierungen — auf für uns 
annehmbarer Basis wieder zu langfristigen Handelsverträgen zu kommen. 
Die verbündeten Regierungen sind der Ueberzeugung, daß diese Tarif- 
vorlage eine brauchbare Grundlage, daß sie ein gangbarer Weg sein wird 
für solche Handelsverträge. Von unserer Seite wird es nicht an gutem 
Willen fehlen, und bei gutem Willen auf beiden Seiten wird man schon 
zu einer Einigung kommen. Auf eines aber möchte ich den Herrn Abg. 
Dr. Barth aufmerksam machen: der Abschluß von Handelsverträgen wird 
nicht erleichtert, wenn, wie nur zu oft von seiner Seite und der Seite seiner 
Freunde, die Sache so dargestellt wird, als ob Deutschland ein größeres 
Interesse am Zustandekommen von Handelsverträgen habe, als andere 
Länder. (Lebhafte Hustmmung bei den Mehrheitsparteien.) So liegt die 
Sache nicht, und ich möchte das Ausland davor warnen, solchen Auslas- 
sungen ein zu großes Gewicht beizulegen. (Zustimmung und Beifall bei 
den Mehrheitsparteien.) Wir befinden uns keineswegs in einer wirtschaft- 
lichen Zwangslage, die uns nötigte, unter irgend ein kaudinisches Joch zu 
kriechen. Unser Einfuhr-Ueberschuß beträgt über eine Milliarde. Deutsch- 
land ist der beste Käufer der Welt. (Sehr richtig!) An dem weiteren 
Fortbestande von Handelsverträgen haben die anderen uns befreundeten 
Nationen genau dasselbe Interesse wie wir (Sehr richtig! bei den Mehr- 
heitsparteien) und deshalb werden wir in Handelsvertragsunterhandlungen 
eintreten mit der loyalen Absicht, einen gerechten und billigen Ausgleich 
der Interessen zwischen uns und den uns befreundeten Nationen herbei- 
zuführen, aber auch mit dem Selbstbewußtsein und dem Selbstgefühl, das 
uns die wirtschaftliche Kraft des deutschen Volkes verleiht. (Lebhafter Bei- 
fall bei den Mehrheitsparteien.) 
Nach einigen weiteren Erklärungen wird die Generaldiskussion mit 
206 gegen 118 Stimmen geschlossen. Hierauf werden mehrere sozialdemo- 
kratische Anträge abgelehnt. In der Spezialdiskussion spricht Abg. Antrick 
(Soz.) von 4½ Uhr bis 12½ Uhr gegen den Tarif. — Nach kurzer Dis- 
kussion und Ablehnung von Einzelanträgen wird nach 2 Uhr mit den Ab- 
stimmungen über die einzelnen Paragraphen begonnen; um 4½ Uhr wird 
in der Gesamtabstimmung die Vorlage mit 202 gegen 100 Stimmen an- 
genommen. — Der Reichstag vertagt sich bis zum 13. Januar 1903. — 
Am 18. Dezember genehmigt der Bundesrat den Zolltarif. 
Dezember. Statistik über die Reichstagsreden zum Zolltarif. 
Die „Tägliche Rundschau“ polemisiert gegen die Behauptung der 
Sozialdemokraten, daß durch die Handhabung der Geschäftsordnung der 
Minderheit das Wort abgeschnitten worden sei, und stellt folgende Berech- 
nung auf. Es haben die zweite und dritte Lesung, einschließlich der Ge- 
schäftsordnungsdebatten über die Lex Aichbichler und die Lex Gröber, 
39 Sitzungen beansprucht. In diesen haben, abgesehen von Bemerkungen 
des Präsidenten, von Erklärungen der Regierungsvertreter und von per- 
sönlichen Bemerkungen 112 Redner 697mal das Wort ergriffen. Davon 
entfallen 257 Reden auf die sachliche Beratung und 440 Reden auf Gegen- 
stände der Geschäftsordnung. Die sämtlichen Reden füllen 2294 Druck- 
spalten der stenographischen Berichte, davon die Reden zur Sache 1615, 
diejenigen zur Geschäftsordnung 679. Es haben gesprochen: 1. von der 
sozialdemokratischen Partei 30 Mitglieder mit 250 Reden in einer Länge 
von 1177 Druckspalten, davon zur Geschäftsordnung 202 Reden mit
	        
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