12 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.)
und den Empfindungen der katholischen Staatsbürger im Osten zu nahe
zu treten; die Regierung wird diese Rechte und Empfindungen auf das
gewissenhafteste respektieren. Nach einseitigen konfessionellen Gesichtspunkten
werde ich die Politik des Landes niemals zurechtschneiden, ich werde eben-
sowenig eine protestantisch-konfessionelle und eine katholisch-konfessionelle
Politik machen, wie ich eine liberale oder konservative Parteipolitik machen
kann. Für mich als Ministerpräsidenten und Reichskanzler gibt es weder
ein katholisches noch ein protestantisches, weder ein liberales noch ein kon-
servatives Preußen oder Deutschland, sondern vor meinen Augen steht nur
die einheitliche und unteilbare nationale Politik. Wenn es eine Lehre gibt,
die für mich resultiert aus der deutschen Geschichte der letzten vier Jahr-
hunderte, so ist es die, daß jeder Versuch der einen Konfession, die andere
— ich will nicht sagen zu vernichten, das ist unmöglich und ausgeschlossen —
aber auch nur zu unterdrücken, nie zu einem praktischen und dauernden
Resultat geführt, wohl aber jedesmal Schaden über das gemeinsame Vater-
land gebracht hat. Nach allem Kampf und Streit kam es jedesmal doch
darauf hinaus, daß alles ungefähr beim alten blieb und man sich ineinander
fügen mußte. Mag sein, das die Verschiedenheit der Konfessionen Deutsch-
land in seinem inneren Leben nur zum Segen gereicht hat, aber, vom
politischen Standpunkt betrachtet, ist die Verschiedenheit der Konfessionen
für Deutschland eine Quelle großer Leiden gewesen, und wir müssen daher
von jedem leitenden deutschen Staatsmanne verlangen, daß er in konfessio-
nellen Dingen mit vorsichtiger und behutsamer Hand zu Werke geht. Sich
über prinzipielle Fragen prinzipiell zu verständigen, ist überall schwierig,
und das ist in Deutschland doppelt schwierig aus Gründen, die mit der
Stärke und den Schwächen des deutschen Nationalcharakters zusammen-
hängen, ich bin aber überzeugt, daß es möglich ist, weil es möglich sein
muß, bei voller Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Staates doch
ein friedliches Zusammenleben der Staatsbürger untereinander und im
Verhältnis zum Staate zu erzielen, wenn nur allseitig festgehalten wird
am Geiste der Mäßigung und Billigkeit. (Sehr richtig!) Deutschland
kann nur eine Weltmacht werden, wenn wir keinen Riß aufkommen lassen
in dem Gefüge unserer nationalen Geschlossenheit. (Beifall.) Ich versichere
Sie als ehrlicher Mann, daß mir jeder Gedanke einer Zurückdrängung,
einer Zurücksetzung, einer Kränkung der katholischen Kirche auch in den
ehemals polnischen Landesteilen vollständig fern liegt. Ich stehe auf dem
Boden der Gleichberechtigung der Konfessionen und wünsche, daß jedem
die Religion erhalten bleibt, in der er sich glücklich fühlte, in nationalen
Fragen aber verstehe ich keinen Spaß. Es handelt sich im Osten nicht um
die Verteidigung der katholischen Kirche und des katholischen Glaubens,
sondern darum, daß deutsches Nationalgefühl, deutsche Sprache und deutsche
Sitten dort nicht zu Grunde gerichtet werden, also nicht um konfessionelle,
sondern um nationale Fragen, und in solchen sollen die Vertreter aller
Konfessionen übereinstimmen. (Sehr wahr.)
Wie liegen denn heute die Verhältnisse in unseren östlichen Pro-
vinzen? Früher kam in politischer Hinsicht dort fast nur der polnische
Adel in Betracht, er nahm in der Bevölkerung die führende Stellung ein,
er leitete die polnische Agitation, das Proletariat in Land und Stadt war
ihm gehorsam und nahm keinen Anteil am politischen Leben und den
kulturellen Errungenschaften. Diese Situation hat sich in den letzten Jahren
vollkommen verändert, dank dem Schutze und dem befruchtenden Segen der
deutschen Verwaltung. (Sehr richtig!) Dank ihr ist in den Städten des
Ostens ein polnisches Bürgertum herangewachsen, das jetzt schon im Gegen-
satz zu dem Adel vordrängt, in einer ähnlichen Weise, wie ein Gegensatz