Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

200 Die ästerreithhisth · nugarische Menarchie. (Mai 30. Juni 2.) 
das hängt mit der Tatsache zusammen, daß wir in Oesterreich nicht das 
genügende Material erziehen, und wenn ich nicht irre, hat das Prote- 
stantenpatent vom Jahre 1864 die Verfügung getroffen, daß, soferne die- 
jenigen Seelsorger, die für die evangelischen Gemeinden notwendig sind, 
nicht in Oesterreich erzogen werden, sie aus dem Ausland bezogen werden 
können. Selbstverständlich haben diese Seelsorger sich hier korrekt zu be- 
nehmen. Tun sie das nicht, so ist es Sache der österreichischen Regierung, 
dagegen aufzutreten und die notwendigen Maßregeln zu treffen. 
30. Mai. (Cisleithanien.) Herrenhaus. Körber über den 
Ausgleich. 
In der Butgetberatung bespricht Ministerpräsident v. Körber den 
Ausgleich und konstatiert dabei, daß Oesterreich der großartigen materiellen 
Entwicklung Ungarns niemals hinderlich entgegengetreten sei. Man müsse 
zugestehen, daß sich Oesterreich an der Seite Ungarns hielt, weil es dort 
ein Absatzgebiet für seine Industrie fand. Man dürfe aber andererseits 
nicht außer Betracht lassen, daß Oesterreich der nächste zugängliche Markt 
für die ungarische Landwirtschaft ist. Aus diesem Zusammenhang wäre 
logischerweise zu folgern, daß die wirtschaftliche Gemeinschaft beider Staats- 
gebiete einer Gefährdung nicht ausgesetzt sein könnte. Leider ist dem nicht 
so. Nicht die Diskordanz der Interessen, sondern Gesichtspunkte anderer 
Art erschweren den notwendig gewordenen Ausgleich der beiderseitigen An- 
sprüche im Zoll= und Handelsbündnis, wie im neuen Zolltarif so sehr, 
daß der Ministerpräsident dem Hause seine Besorgnis über den Aus- 
gang der nun schon so lange schwebenden Verhandlungen nicht verhehlen 
darf. (Bewegung.) Er könne versichern, daß Oesterreich in keinem Punkte 
dem Besitzstande Ungarns zu nahe trete und ihm nichts nehmen wolle. 
Aber es sei unerläßlich, die bestehenden Unklarheiten zu beseitigen, damit 
für die fernere Zukunft eine Deutung zu ungunsten Oesterreichs unmöglich 
werde. Ebenso sei im Tarife eine gewisse Rücksichtnahme auf die Be- 
dingungen der wirtschaftlichen Existenz Oesterreichs nötig. „Das ist alles, 
was wir verlangen, und die Regierung wird nicht davon abgehen. Wir 
müssen aber auf einen raschen Abschluß der Verhandlungen bedacht sein, 
damit nicht eine Zwangslage geschaffen wird, die unheilvoll und mit den 
Begriffen des Ausgleichs nicht verträglich ist. (Zustimmung.) Wir wollen 
bis an die äußerste Grenze des möglichen Entgegenkommens gehen, um 
die Gemeinschaft mit Ungarn in Freundschaft aufrecht zu erhalten (Sehr 
gutl!), wir werden jedoch zu einer Gemeinschaft, welche uns zu keiner Ruhe 
kommen läßt, die Hand nicht bieten.“ 
30. Mai. (Pest.) In der ungarischen Delegation wird die 
alldeutsche Bewegung als Landesverrat bezeichnet. Von den meisten 
Rednern und der Regierung wird festgestellt, daß die deutsche Re- 
gierung dieser Bewegung ganz fern stehe. ( 
2. Juni. (Lemberg.) Ausständige Bahnarbeiter greifen 
eine Militärabteilung an; 23 Arbeiter werden verwundet. 
Juni. (Cisleithanien.) Debatte über die preußische 
Polenpolitik. 
Im Polenklub wird gegen die preußische Ansiedlungvorlage (S. 84), 
die zur Vernichtung der Polen bestimmt sei, protestiert. Die Mitglieder 
der Delegation werden beauftragt, auf die Befreiung Oesterreichs von der 
  
 
	        
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