Lie Merreichischungarisehe Menarchie. (Dezember 2. 5.) 207
über den Abschluß neuer Handelsverträge mit dem Auslande zustande
kommen müsse. Nun habe sich die internationale Konstellation seit 1899
wesentlich verändert, insofern der deutsche Zolltarif, auf dessen Grundlage
die Kündigung der Handelsverträge Ende 1902 eventuell hätte erfolgen
müssen, noch nicht erledigt sei. Heute liege die Sache so, daß das Deutsche
Reich wahrscheinlich, ja er möchte sagen nahezu gewiß, von dem Kündi-
gungsrechte seinerseits noch nicht Gebrauch machen werde. Wer kündigen
werde und in welcher Weise, vermöge heute noch niemand zu sagen, da
die handelspolitische Lage in Europa teilweise von der deutschen Zollpolitik
abhängt. Wir wissen nicht, welches die Haltung Italiens, Frankreichs und
Rußlands sein wird. Es ist möglich, daß, falls ein Staat kündigt oder
wir einem oder dem anderen Staate kündigen, was noch nicht entschieden
ist, die Regelung unseres Verhältnisses mit Oesterreich um so dringender
werden wird. Der gemeinsame Zolltarif wird jedenfalls erledigt werden,
so daß wir, an welchem Zeitpunkte des Jahres 1903 die Kündigung auch
erfolgen mag, auf der Grundlage des neuen Zolltarifs in die Verhand-
lungen eintreten können. (Lebhafter Beifall rechts.) Ich gehe weiter: ich
werde bestrebt sein, das Verhältnis zwischen Ungarn und Oesterreich defi-
nitiv zu klären. (Allgemeiner lebhafter Beifall.) Der Entwurf des Zoll-
tarifs ist ja bereits so gut wie fertiggestellt. Wenn auch gewisse Einzel-
fragen noch unerledigt sind und ich den Zolltarif dem Hause noch nicht
unterbreitet habe, so bitte ich, mir das nicht als ein Vergehen anzurechnen.
Es möchte ja niemand hier mir etwa den Rat erteilen, gegenüber dem
anderen vertragschließenden Teil allzu freigebig zu sein, nur damit wir
eher fertig werden. (Lebhafter Beifall rechts.) Aber schon aus dem Um-
stande, daß der gemeinsame Zolltarif, wie gesagt, in der Hauptsache fertig
ist, ergibt sich, daß eine Vereinbarung mit Oesterreich über wirtschaftliche
Fragen keineswegs unmöglich erscheint, wie mehrfach behauptet wurde.
Allerdings haben wir vorgezogen, selbst im Oktober den Ausgleich zwischen
beiden Reichshälften noch nicht gänzlich zu erledigen. Wir wollten eben
nicht bloß zu irgend einem Resultat gelangen, sondern auch durch Gründ-
lichkeit und Gewissenhaftigkeit der Beratungen die bestehenden Differenzen
zisschen Ungarn und Oesterreich auf ein Mindestmaß reduzieren. (Bei-
all rechts.
2. Dezember. (Gmunden.) Der frühere Minister Graf
Belcredi, 79 Jahre alt, f.
5. Dezember. (Brüx.) Schluß des Prozesses, den der all-
deutsche Führer Wolf wegen Ehrenbeleidigung gegen andere All-
deutsche angestrengt hatte. Die Angeklagten werden verurteilt,
setzen aber den Kampf gegen Wolf fort, den sie wegen seines ein-
gestandenen Ehebruchs einer politischen Führerrolle für unwürdig
erklären. Ein großer Teil der Partei hält an Wolf fest.
5. Dezember. (Böhmen.) Vorschlag der deutschen Parteien
über eine Verständigung in der Sprachenfrage.
Die deutsche Volkspartei, die Fortschrittspartei und der verfassungs-
treue Großgrundbesitz veröffentlichen ein Programm, nach dem die Verwal-
tung Böhmens reformiert werden soll. Böhmen zählt 6 Millionen Ein-
wohner, von denen etwas über 37 Prozent Deutsche sind, und es ist
gegenwärtig das größte Verwaltungsgebiet in Mittel- und Westeuropa.
Dies führte zu erheblichen Uebelständen. Die Statthalterei in Prag ver-