Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

16 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.) 
schaffen, um das Heimatsgefühl, das Gefühl provinzieller Zugehörigkeit 
zu stärken und sie an die Ostmark zu fesseln. Ich will gern die Hand 
zur Erreichung dieser Ziele bieten. (Beifall.) Aber auch die kulturelle 
Hebung unsrer östlichen Provinzen ist von allergrößter Bedeutung; sie ist 
das beste Mittel, um die von uns beklagte Abwanderung aus dem Osten 
zu verhindern und deutsche Elemente nach dem Osten zu ziehen. Ein 
kleiner Anfang ist, wie Sie wissen, gemacht worden mit der Errichtung 
des Museums und dem Bau der Kaiser Wilhelm-Bibliothek in Posen. Ich 
weise ferner hin auf die Errichtung einer landwirtschaftlichen Anstalt in 
Verbindung mit einer Bibliothek in Bromberg. Gerade Bromberg eignet 
sich vermöge seiner geographischen Lage zwischen den beiden Provinzen 
Posen und Westpreußen zur Aufnahme eines solchen Institutes. Auch ist 
die Vermehrung der Realanstalten der Provinz Posen in Aussicht ge- 
nommen. Ich weiß sehr wohl, daß von anderer Seite diese Bestrebungen 
zur kulturellen Hebung des Deutschtums im Osten verspottet sind, ich halte 
aber diese Ironie für durchaus ungerechtfertigt. Wohin kein geistiges 
Leben führt, wo Kunst und Wissenschaft fehlen, da verkümmert der Deutsche. 
Wo der Deutsche aufblühen soll, da muß er seine Ideale pflegen. Das 
schließt nicht aus, daß daneben auch die realen und praktischen Seiten die 
ernsteste Berücksichtigung finden werden. In einer solchen kulturellen und 
wirtschaftlichen Hebung des Deutschtums auf allen Gebieten des Lebens, 
in der Kräftigung des Deutschtums in den östlichen Provinzen, glaubt die 
Regierung den Weg für eine gesunde Ostmarkenpolitik zu finden, und sie 
wird dies Ziel unentwegt weiter verfolgen. Besonderer gesetzgeberischer 
Maßnahmen bedarf es — und darin stimme ich mit dem Abg. Hobrecht 
überein — zur Zeit nicht, womit ich mir jedoch in keiner Weise die Hände 
für die Zukunft binden will. Wir hoffen, mit der zielbewußten Anwen- 
dung der bestehenden Gesetze und Verwaltungsvorschriften auskommen zu 
können. Von großer Bedeutung ist es natürlich auch, daß uns reichliche 
finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, und wir hoffen, daß das Haus, 
wenn wir im Staatsinteresse weitere Mittel fordern, seine Mitwirkung 
nicht versagt. (Lebhafte Zustimmung rechts und bei den Nationalliberalen.) 
Vorläufig ist die Erhöhung des Dispositionsfonds für die Oberpräsidenten 
bis zu einem Gesamtbetrage von einer Million vorgesehen. Dieser Fonds 
soll, wie Sie wissen, zur Kräftigung und Stärkung des Deutschtums dienen. 
Die Oberpräsidenten sind in der Verfügung über diesen Fonds unbeschränkt, 
sie werden auf Grund ihrer genauen Kenntnis der lokalen Verhältnisse am 
besten entscheiden können, welcher Gebrauch mit diesen Fonds zu machen 
ist. Sollten die Summen in der Folge als nicht ausreichend anerkannt 
werden, so werden wir eine weitere Erhöhung des Dispositionsfonds im 
nächstjährigen Etat beantragen. Schließlich bedarf nach meiner Meinung 
auch die Frage einer sehr ernsten Erwägung, ob nicht den Beamten in 
den gemischtsprachigen Gegenden eine Gehaltszulage zu gewähren ist. (Leb- 
hafte Zustimmung rechts.) Ich möchte, daß wir dieser Frage recht bald 
näher treten. Daß wir, wie der Vorredner meint, durch unsere Maß- 
nahmen die Grundsätze der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und Billigkeit 
verletzen, heißt doch die Tatsachen auf den Kopf stellen. Die nichtdeutschen 
Nationalitäten erfreuen sich innerhalb der preußischen Monarchie aller ver- 
fassungsmäßigen Rechte, sie haben ihre Presse, ihr Parlament, ihre Ver- 
eine, und sie benutzen in vollstem Umfange diese Vehikel des modernen 
Verkehrs. Aber es gibt eine Grenze, die gezogen wird durch das Inter- 
esse, diesen Provinzen den deutschen Charakter zu wahren. Solange das 
von der anderen Seite nicht anerkannt wird, können auch wir nicht die 
Waffen niederlegen, die uns das Gesetz verleiht. Es ist auch der Rechts-
	        
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