Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

18 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14./15.) 
wenn der Deutsche im Osten selbst mit Hand anlegt, wenn er nicht alles 
von der Regierung erwartet, sondern an das Wort denkt: Selbst ist der 
Mann. Als erster Diener der Krone mahne ich daher die Deutschen im 
Osten zur Einigkeit. Alle Momente, welche geeignet sind, diese zu zer- 
stören, mag es sich um einseitig wirtschaftliche oder konfessionelle Bestre- 
bungen handeln, sind vom Uebel. Es darf nur eine Parole sein, das ist 
die nationale. (Lebhafter Beifall.) Es gab eine Zeit, wo man von der 
Kriegssucht der Deutschen sprach. Wir denken nicht daran, diese Zeiten 
zurückzurufen, wir denken nicht daran, unsere Grenzen in irgend einer 
Weise vorschieben zu wollen. Es gibt kein friedliebenderes Volk als das 
deutsche, und keines, welches weniger auf Eroberungen ausgeht. Aber das 
Land, das uns die Vorsehung gewährt hat als Entschädigung für andere 
Verluste, das Land, dessen wirtschaftliche und kulturelle Ueberwachung, 
dessen Wiedergewinnung und Verschmelzung mit dem Deutschtum der 
schönste Ruhmestitel der preußischen Könige ist, diesen unseren Besitzstand 
werden wir festhalten und ausbauen mit allen Mitteln, eingedenk des 
Wortes: Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu 
besitzen! (Stürmischer Beifall rechts und bei den Nationalliberalen.) 
Abg. Fritzen (Z.): Die Polen sollten sich als dauernde Untertanen 
des preußischen Staates fühlen und auf alle Pläne zur Wiederherstellung 
eines polnischen Reiches verzichten. Dagegen sei die Unterdrückung der 
polnischen Sprache zu verurteiten; die falsche Schulpolitik komme allein 
den Polen zu gute. Abg. v. Heydebrand (kons.) stimmt dem Grafen 
Bülow durchaus zu. Abg. Stychel (P.): Solange die Regierung dem 
Hakatistenverein nicht entgegentrete, werde sie nie Frieden bekommen. — 
Am folgenden Tage bezeichnet Abg. Kopsch (f. Vp.) die 1885 eingeleitete 
Polenpolitik als verfehlt. Der Ansiedlungsfond habe nur den Polen ge- 
nützt. Die Beamten im Osten müßten der polnischen. Sprache mächtig sein. 
Am 15. Januar polemisiert hiergegen Abg. Gördeler (fr.k.), die deutsche 
Sprache müsse allein maßgebend sein im öffentlichen Leben. 
14. Januar. (Baden.) In der Zweiten Kammer erklärt 
Finanzminister Buchenberger über den Zolltarif: 
So begreiflich der Wunsch ist, daß die ökonomische Lage der arbeiten- 
den Klassen gebessert wird, so muß auf der anderen Seite zugegeben werden, 
daß ein Schutz für andere produktive Klassen nicht fehlen darf. Es handelt 
sich hier nicht um privatwirtschaftliche Interessen, sondern um eine national- 
wirtschaftliche Frage. Es ist deshalb die Pflicht eines sozialen Staates, 
der Landwirtschaft die helfende Hand zu bieten, und diese Politik der Hilfe 
darf nicht unterbleiben, weil auch der Großgrundbesitz davon einen Vorteil 
hat. Für Uebertreibungen und Maßlosigkeiten ist die Regierung aber nicht 
zu haben, und ich mache kein Hehl daraus, daß von dem Bouquet von 
Forderungen des Bundes der Landwirte mir nicht eine einzige Forderung 
annehmbar erscheint. 
14./15. Januar. (Bayerische Abgeordnetenkammer.) 
Einheitsmarke und Reservatrecht. 
In der Beratung des Postetats fordern alle Redner unbedingte 
Wahrung des Reservatrechts, für eine Einheitsmarke sprechen sich nur 
wenige Stimmen aus. Ministerpräsident v. Crailsheim: Er lege der 
Sache keine nationale Bedeutung bei, er glaube, daß wir sehr gute Deutsche 
sein können, wenn wir unsere bayerische Marke behalten. Die Sache müsse 
von dem Standpunkte des Gefühls, nicht von dem nüchternen Standpunkte 
der Politik und der Jurisprudenz betrachtet werden. Die Nachteile der
	        
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