Italien. (März 14./15.) 253
auswärtige Politik der Regierung. Vertrauensvotum. Sozial-
politik; südafrikanischer Krieg.
Mehrere Deputierte wenden sich gegen die Sozialpolitik der Regie-
rung. Hierauf erwidert Minister des Innern Giolitti: Im Juni vorigen
Jahres wie jetzt, wo es von neuem in Arbeiterkreisen gäre, habe man ge-
fürchtet, daß es zu schweren Ruhestörungen kommen werde, doch hätten sich
diese Befürchtungen nicht bewahrheitet. Richtig sei ja, daß die Ausstände
wieder begonnen hätten, aber dies komme daher, daß man vor einer großen
sozialen Bewegung aller Klassen des Proletariats stehe. Dieselben ver-
langten einfach bessere Lebensbedingungen und hätten damit recht. Keine
ihrer Forderungen habe einen politischen Charakter. (Lebhafter Beifall
links.) Eine solche Bewegung werde nur dann gefährlich, wenn die Re-
gierung glaube, sie mit Gewalt unterdrücken zu sollen. Pflicht der Re-
gierung sei es, unparteiisch zu bleiben und die Rechte aller zu achten.
Daher müsse die Regierung das Recht, in den Ausstand zu treten, und
die Berechtigung, für dieses Recht Propaganda zu machen, so lange achten,
als keine Gewalttätigkeiten damit verbunden seien. Ebenso müsse sie die
Freiheit der Arbeit gewährleisten. Auch glaube er, daß, soweit nicht obli-
gatorische Schiedsgerichte gesetzlich eingeführt seien, die Regierung das Recht
und die Pflicht habe, ihre von beiden Parteien angerufenen Vertreter ein-
greisen zu lassen, um eine friedliche Lösung der Streitigkeiten herbeizu-
führen. Im Streik der Bahnangestellten habe die Regierung die Ein-
stellung des Bahnbetriebs verhindern müssen, die namentlich den ärmeren
Teil der Bevölkerung schwer betroffen haben würde. Sie habe aber auch
die seit Jahren unerledigt gebliebenen gerechten Ansprüche der Bahnarbeiter
zu schützen unternommen und so die öffentliche Ordnung aufrechterhalten.
Die Regierung habe sich an den Verhandlungen und an den erforderlichen
Ausgaben beteiligen müssen. Man dürfe sich nicht verhehlen, daß auch
andere berechtigte Ansprüche der arbeitenden Klassen Befriedigung er-
heischten, da die Löhne vielfach zu gering seien. (Sehr gut.) Es sei ein
großes Ergebnis des Friedenswerkes der Regierung, daß sie vom Prole-
tariat nicht als ein Feind betrachtet werde. Jene, die verlangten, daß die
Regierung sich nicht auf die meistbelasteten Klassen stütze, könnten sich nur
auf die Ultrakonservativen und die Klerikalen stützen. (Lebhafter Beifall links.)
Am folgenden Tage wendet sich Ministerpräsident Zanardelli
gegen den Abg. Sonnino, der das Vorgehen der Regierung in der Eisen-
bahnfrage kritisiert hatte, und betont, daß die Regierung die gerechten An-
sprüche der Arbeiter und das Dienstinteresse berücksichtigt habe. — Auf
eine Interpellation der äußersten Linken, ob nicht eine europäische Inter-
vention in Südafrika zu veranlassen sei, erwidert Minister des Auswärtigen
Prinetti, die Antwort Englands auf die niederländische Note und die
wiederholten Erklärungen der Regierung im Parlament ließen nicht die
Hoffnung zu, daß eine Einmischung in den Streit mit den Buren bei der
englischen Regierung wohlwollende Aufnahme finden könne. Die Weige-
rung, die gewünschte Initiative zu ergreifen, dürfe nicht als Beweis einer
wenn auch noch so geringen Erkaltung in unseren Beziehungen zu Eng-
land angesehen werden. „Ich kann der Kammer versichern, daß die in
meiner Erklärung vom 14. Dezember erwähnten so glücklich wiederher-
gestellten guten Beziehungen zu Frankreich die alte traditionelle Freund-
schaft zwischen England und Italien in keiner Weise beeinträchtigt haben.
Ich benütze sehr gerne die Gelegenheit, um heute hinzuzufügen, daß die
Beziehungen zwischen Italien und England niemals herzlicher und inniger
als jetzt sein konnten.“