Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Italien. (Dezember 15.) 261 
handen; es fehle nur das Vertrauen des Kapitals. Die Ergebnisse der 
Erfahrungen auf landwirtschaftlichem Gebiete seien hervorragend; auch seien 
weite fruchtbare Gebiete vorhanden, die bereit seien zur Aufnahme von 
Auswanderern. Erythräa werde demnächst dem Vaterlande wertvolle Bei- 
steuern liefern. Minister des Auswärtigen Prinetti: Italien, das eine 
so starke Auswanderung habe, kann unmöglich ohne Schaden zu leiden auf 
jede koloniale Ausdehnung verzichten. 
Der Antrag Chiesis wird gegen 4 Stimmen abgelehnt. 
15. Dezember. (Kammer.) Erklärung Prinettis über die 
künftigen Handelsverträge. 
Auf einige Anfragen erwidert der Minister des Auswärtigen, er 
müsse vor allem erklären, er habe bisher keine amtliche oder halbamtliche 
Mitteilung betr. die Kündigung der gegenwärtigen Handelsverträge er- 
halten; er sei auch nicht im stande, diesbezüglich etwas voraussagen zu 
können, denn er habe keine Kenntnis von den Absichten, die jede der an- 
deren Regierungen haben möge, ihren Vertrag zu kündigen oder nicht zu 
kündigen. Hier halte er es nützlich, den Irrtum zu zerstreuen, in den er 
in dieser Kammer und anderswo oft diejenigen geraten sehe, die sich mit 
diesem Gegenstand beschäftigen. Es sei nicht richtig, daß, wenn die Han- 
delsverträge am 31. Dezember nicht gekündigt seien, sie als ein Jahr über 
die Ablaufsfrist verlängert angesehen würden, und daß die Mitternacht des 
31. Dezember von den Interessenten mit all der Angst erwartet werden 
müßte, die ehemals das Herannahen des Jahres 1000 verursachte. Nein, 
nach dem 31. Dezember könne täglich gekündigt werden, und die Verträge 
würden genau nach einem Jahre vom Tage der Kündigung gerechnet ab- 
laufen. Was die Zukunft anlange, die auf dem so wichtigen Gebiet der 
Handelsbeziehungen unserem Lande bevorstehen könne, glaube er nichts an 
dem im Mai 1901 Gesagten ändern zu müssen. Er glaube nicht, daß 
Italien sehr ernsten Schwierigkeiten in den demnächstigen Verhandlungen 
und Abmachungen mit Deutschland entgegengehe und er sei noch tiefer wie 
damals überzeugt, daß die Grundlage der Regelung der Handelsbeziehungen 
beider Länder keiner wesentlichen Aenderung unterworfen werde. Der 
gegenwärtige Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn sei, das dürfe man 
nicht vergessen, bedeutend vorteilhafter für Oesterreich-Ungarn als für 
Italien. Diejenigen, welche in Oesterreich-Ungarn mit lauter Stimme die 
Kündigung des Vertrages verlangen, erheben, wie jedermann wisse, nur 
eine einzige Beschwerde, nämlich die gegen die bekannte Weinklausel. Die 
Klausel im gegenwärtigen Wortlaute erfahre in Oesterreich und besonders 
in Ungarn großen Widerspruch wegen des durch sie eingeführten ermäßigten 
Tarifs und weil Frankreich noch bis 31. Dezember 1903 für Weine die 
gleiche Behandlung verlangen könnte, die es sich verpflichtete, nicht vor dem 
31. Dezember 1903 zu verlangen. Soweit Italien in Betracht komme, 
werde es, obgleich der bestehende Vertrag kaum für Italien günstig sei, 
stets von dem Gefühl großer Mäßigung, welche seine Haltung in diesem 
großen Zeitraum handelspolitischer Streitigkeiten, der schon so lange an- 
halte, bestimmte, beseelt bleiben. Italien werde den gegenwärtigen Vertrag 
nicht kündigen. Er kenne die Entscheidung, die die österreichisch-ungarische 
Regierung treffen werde, nicht. Wenn Oesterreich-Ungarn den Vertrag 
kündige, würden die italienischen Vertreter in die Verhandlungen über 
neue Vereinbarungen den Geist hoher Billigkeit und den lebhaften Wunsch, 
zu schneller Entscheidung zu kommen, mitbringen; aber sie würden nicht 
umhin können, alle Positionen des Vertrags einer Nachprüfung zu unter- 
ziehen, um zu einer neuen Einigung zu kommen, die beiden Ländern ge-
	        
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