Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 22.) 21
Art, in der das neue Ministerium aus dem alten hervorgegangen sei.
Im Juli vorigen Jahres habe der hochverdiente Staatsmann, der sieben
Jahre lang an der Spitze des Staatsministeriums gestanden und schon
fast 20 Jahre vorher die Justiz- und Unterrichtsangelegenheiten mit größtem
Erfolg geleitet habe, aus Gesundheitsrücksichten, und zwar lediglich aus
solchen, um seine Zurruhesetzung gebeten. Als sein Nachfolger an der
Spitze des Ministeriums wurde derjenige Minister berufen, der sozusagen
nach seiner Stellung der nächste war, das älteste Mitglied des Staats-
ministeriums — und zum Nachfolger im Justiz- und Kultusdepartement
ein langjähriger Amtsgehilfe des abgetretenen Ministers. Drei Viertel-
jahre vorher war der in seinem Berufe so vielgewandte und erfahrene
Minister des Innern, im wesentlichen gleichfalls aus Gesundheitsrücksichten,
von seinem Posten zurückgetreten, und es wurde auch hier ein Mann an
seine Stelle berufen, der lange Jahre vorher schon als Ministerialdirektor
sein treuer Amtsgenosse gewesen war. Hieraus erhelle schon, daß das neue
Ministerium organisch aus dem alten hervorgegangen sei. Auch der Kurs
bleibe der alte. Daran habe auch der Umstand nichts geändert, daß ein
fünftes Mitglied ins Staatsministerium berufen wurde, bestimmt als Kor-
referent in wichtigen Gesetzgebungs- und Beschwerdeangelegenheiten zu
fungieren, überhaupt um einen weiteren erfahrenen, von keinem Ressort-
egoismus beeinflußten Berater im Staatsministerium zu haben. Bei der
Auswahl der Persönlichkeit dieses fünften Mitgliedes sei noch ein Umstand
nicht ohne Bedeutung gewesen, der sonst keine Rolle spiele und spielen
dürfe: weil zufällig alle vier Ressortchefs protestantisch seien, habe man es
für angemessen und zweckmäßig gehalten, dieses fünfte Mitglied womöglich
aus der anderen (katholischen) Konfession zu berufen. Das neue Ministerium
wisse sich frei von jeder Parteischablone und werde bestrebt sein, sich außer-
halb der Parteien zu halten (nicht „über“, aber „außerhalb" der Parteien:
denn über den Parteien stehe nur der Landesherr). Darin unterscheide es
sich aber nicht vom früheren Ministerium, vielleicht habe es aber den Vor-
teil, daß man ihm diese Versicherung eher glaube, weil kein Mitglied des
jetzigen Staatsministeriums eine besonders ausgeprägte politische oder gar
parteipolitische Vergangenheit habe. Er habe überhaupt die ketzerische An-
sicht, daß es für den Minister eines Bundesstaates heutzutage nicht sowohl
darauf ankomme, große Politik zu machen, als für eine gute, gerechte und
gesunde Verwaltung zu sorgen. Darin liege einer der Hauptvorzüge der
Reichsgründung, daß nunmehr alle wichtigen Fragen der äußeren wie
inneren Politik im Reichstage beraten werden und zur Entscheidung kommen,
wodurch den Einzelstaaten mehr Zeit bleibe, sich den wirtschaftlichen und
sozialen Aufgaben zuzuwenden. Im Juli vorigen Jahres habe er in einem
liberalen Münchener Blatte gelesen, die badischen Minister hätten seit vielen
Jahren zwar eine vortreffliche Verwaltung geführt, aber sonst doch nur
sehr mittelmäßige Politik gemacht. Sollte ihm einmal, wenn er über kurz
oder lang von seinem Posten zurücktrete, das Lob gespendet werden, er
habe auf allen Gebieten des Staatslebens für eine gerechte und unpartei-
ische, vom modernen Geist durchwehte und von falschem Bureaukratismus
freie Verwaltung gesorgt, so würde es ihm ganz gleichgültig sein, wenn
man nebenher von ihm sage, daß er „kein staatsmännischer Kopf“ gewesen
sei — wenn man nur die Verwaltung anerkennen müsse.
22. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Pro-
vinzialdotationsgesetz.
Hierdurch werden den Provinzen außer den schon überwiesenen
37 Millionen weitere 10 Millionen zugewiesen. — Der Vorlage stimmen