Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Türkei. (Dezember 14.) 299 
„Mehrere auswärtige Botschafter haben bei der Pforte Schritte 
unternommen, um ernste und wirksame Maßregeln zur Verbesserung der 
Lage der Bevölkerung in unseren europäischen Provinzen zu verlangen, 
damit Verwicklungen vorgebeugt werde, die den ihren Regierungen zu- 
gekommenen Berichten zufolge in nächster Zeit zu erwarten wären und 
ernste Folgen nach sich ziehen könnten. Einige Botschafter haben dei dieser 
Gelegenheit die Notwendigkeit betont, in diesen Provinzen die Grundsätze 
einer guten Finanzverwaltung einzuführen, damit der Sold an die Truppen 
und die Gehalte der Beamten regelmäßig gezahlt werden, wodurch die 
Fortsetzung von Erpressungen ausgeschlossen würden, unter denen die Be- 
völkerung gegenwärtig sehr zu leiden habe. Euer Exzellenz ist es nicht 
unbekant, daß die kaiserliche Regierung, von dem lebhaften Bestreben ge- 
leitet, die Ruhe und Ordnung in diesen Provinzen aufrecht zu erhalten, 
zu diesem Zwecke eine Reihe ernster Maßregeln angeordnet und jederzeit 
den Generalgouverneuren anempfohlen hat, die erforderlichen Schritte zu 
tun, damit die Interessen eines jeden von allen Benachteiligten verschont 
werden. Die Walis haben sich auch streng an diese Ratschläge gehalten. 
Unsere Behörden haben nichts vernachlässigt, um die Räuberbanden, die 
im Fürstentum organisiert und von dort in unsere Provinzen entsandt 
werden, zu unterdrücken. Sobald die Behörden von einem Verbrechen 
oder einem Vergehen Kenntnis erhalten, pflegen sie Erhebungen nach den 
Tätern und führen sie der verdienten Strafe zu. Dank diesen Maßregeln 
ist die Ruhe und Ordnung in unseren Provinzen vollständig gewahrt 
worden, und da jetzt daselbst ungestörte Ordnung herrscht, haben wir keine 
Ursache vorauszusehen, daß demnächst Verwicklungen eintreten werden. Es 
hat den Anschein, als ob die Botschafter, die von den kommenden Ver- 
wicklungen sprechen, der kaiserlichen Regierung die Schuld daran beimessen, 
und daß sie, indem sie die Einführung der Grundsätze einer guten Finanz- 
verwaltung empfehlen, glauben machen wollen, daß die in den Provinzen 
verübten Erpressungen von den Beamten, den kaiserlichen Truppen und 
den Gendarmen verübt werden, weil ihnen Gehalt oder Sold nicht aus- 
gezahlt wird. Diese Anschuldigungen sind aber nichts weniger als gerecht. 
Aus den Telegrammen unserer Walis, von denen ich Ihnen regelmäßig 
Abschriften zugesendet habe, werden Sie bereits entnommen haben, daß es 
die in Bulgarien ausgerüsteten und in unsere Provinzen entsendeten 
Banden sind, die die Ordnung stören und die Ruhe der Bevölkerung er- 
schüttern, daß es eine Folge ihrer Aufreizungen ist, wenn die bulgarischen 
Bewohner sich Angriffe gegen ihre muselmanischen und griechischen Mit- 
bürger zu Schulden kommen lassen, sowie sich ihnen dazu eine Gelegenheit 
ergibt; wenn in verschiedenen Teilen des Fürstentums Muselmanen auf 
die grausamste Weise ermordet werden; und daß die bulgarischen Komitees 
unter Drohungen die Bulgaren, die bereits ihre Reue den kaiserlichen Be- 
hörden ausgedrückt und ihre Waffen abgeliefert haben, zwingen, das Land 
zu verlassen. Alle diese Tatsachen beweisen, daß die Lage, über die Europa 
Klage führt, ihren Ursprung in dem ehrgeizigen Bestreben Bulgariens hat, 
den Kreis seiner Machtvollkommenheit zu erweitern, keineswegs aber in 
den vereinzelten Missetaten, die sich von Zeit zu Zeit in unseren Provinzen 
ereignen und deren Urheber jedesmal eifrigst verfolgt und nach dem Gesetz 
mit aller erwünschten Strenge bestraft werden. In diesen Verbrechen, wie 
sie täglich in allen Ländern verübt werden, die Ursachen der von den 
fremden Regierungen vorausgesehenen kommenden Verwicklungen zu suchen, 
wäre sehr ungerecht. Angesichts dieses Standes der Dinge sind wir über- 
zeugt, die . Regierung werde geneigt sein, anzuerkennen, daß ein ener- 
gischer Druck auf das Fürstentum und nicht auf die kaiserliche Regierung 
 
	        
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