Bulgarien. (Juni 11. -Oktober 28. 301
revolutionäre Bewegung daselbst verantwortlich zu machen; die Schuld
hierfür treffe vor allem die türkische Verwaltung und die türkische Regie-
rung selbst. Nach den der bulgarischen Regierung zugehenden Informa-
tionen sei die Lage in Makedonien und dem Adrianopeler Vilajet äußerst
unbefriedigend, ja gefährlich. Die bulgarische Bevölkerung greife in ihrer
Verzweiflung zu den Waffen, um ihre ermordeten Angehörigen und miß-
handelten Frauen zu rächen und ihre Habe zu retten. Diese Zustände
seien nicht neu, sie hätten sich aber infolge der Untätigkeit der türkischen
Behörden neuerdings verschärft. Aus dieser Lage erkläre sich auch die
massenhafte Zunahme der ohnehin beträchtlichen makedonischen Emigranten
nach Bulgarien und der Erfolg der Aufwiegler bei der bulgarischen Be-
völkerung in Makedonien. Die türkischen Behörden sorgten nicht nur
nicht für Abhilfe oder Besserung, sondern verfolgten auch Unschuldige.
Erwäge man noch das große Elend der bulgarischen Bevölkerung — wagten
doch die Bauern nicht einmal mehr ihre Felder zu bearbeiten — sowie die
Erpressungen mancher Behörden, so könne man sich vorstellen, welch gün-
stiges Terrain in Makedonien für eine revolutionäre Tätigkeit geboten sei.
Die fürstliche Regierung habe schon öfters die Aufmerksamkeit sowohl der
türkischen Regierung, als auch der Signatarmächte des Berliner Vertrages
auf die unvermeidlichen Folgen dieser sich indes mehr verschlechternden
Lage gelenkt. Es bleibe nun den Großmächten überlassen, zu erwägen,
ob es nicht im Interesse des gewünschten Friedens liege, in Makedonien,
sowie im Adrianopeler Kreis jene Reformen einzuführen, welche die Lage
daselbst erfordere und welche im Berliner Vertrage vorgesehen seien. Die
fürstliche Regierung erachte es jedenfalls als ihre Pflicht, auf die Gefahren
hin3zuweisen, welche entstehen würden, wenn man zuließe, daß die türkischen
Behörden bei Niederwerfung der entstandenen Bewegung die gleichen ge-
waltsamen, auch die ruhige Bevölkerung nicht verschonenden Mittel, wie
bisher in ähnlichen Fällen anwendeten. Der Eintritt einer Katastrophe,
welcher man allseits vorbeugen wollte, würde dadurch noch beschleunigt
werden.
11. Juni. Der Fürst besucht den Zaren in St. Petersburg
und überreicht ihm ein Modell des Alexander II. in Sofia errich-
teten Denkmals.
8. August. Die Sobranje genehmigt mit 111 gegen 56
Stimmen eine Anleihe von 120 Millionen.
Anfang September. (Sofia.) Mehrere Führer des make-
donischen Komitees werden wegen Bandenbildung festgenommen.
27./29. September. (Scheinowo am Schipkapaß.) Zur
Erinnerung an die Kämpfe vor 25 Jahren finden große militä-
rische Feierlichkeiten statt, an denen der Fürst und der russische
Großffürst Nikolaus Nikolajewitsch teilnehmen.
24. Oktober. (Sofia.) Der Mörder Stambulows, Haljus,
wird zum Tode verurteilt.
W. Oktober. Die Sobranje wird durch den Minister-
präsidenten eröffnet. In der Thronrede wird auf die wohlwollende
Gesinnung des Zaren gegen Bulgarien hingewiesen.