Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

24 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 26.) 
Wesen eines jeden Menschen: Was der Mensch einmal schön geschaffen hat, 
das bleibt für alle Jahrtausende schön, und wir, die wir nachfolgen, haben 
nur das Schöne festzuhalten und unseren Lebensbedürfnissen anzupassen. 
Das mögen sich auch die Schüler dieser Anstalt stets wieder vor Augen 
halten. Von der idealen Figur, wie der Meines Vaters an der Seite 
Meiner seligen Mutter, seiner Gattin, getragen von der Liebe des Volkes, 
ist der Segen herabgeströmt; eine herrliche Gestalt, der der Staub der 
Straße nicht einmal an den Saum des Gewandes reichte. Und ebenso 
das herrliche verklärte Bild Meiner Mutter, diese sorgende Frau, deren 
jeder Gedanke die Kunst war, bei der alles, sei es noch so einfach, das 
für das Leben gestaltet werden sollte, von Schönheit durchweht war. Der 
Hauch der Poesie umgab sie. Ihrer beider Sohn steht vor Ihnen als ihr 
Erbe und Vollzieher. Und so, wie Ich es schon früher ausgesprochen habe, 
sehe Ich es auch als Meine Aufgabe an, im Sinne Meiner Eltern die 
Hand über Meinem deutschen Volke und seiner heranwachsenden Generation 
zu halten, das Schöne in ihm zu pflegen und die Kunst in ihm zu ent- 
wickeln, aber nur in den festen Bahnen und den festgezogenen Grenzen, 
die in dem Gefühle für die Schönheit und der Harmonie der Menschen 
liegen, und Ich spreche von ganzem Herzen den Wunsch für dieses hoch- 
ragende Haus und für seine Anstalten aus, daß aus ihm Segen in Hülle 
und Fülle über unser Volk strömen möge und daß des Volkes Geschmack, 
sein Vergnügen und seine Freude an dem Schönen von hier aus gepflegt 
und angeregt werden, damit jetzt, wo wir wieder so weit gelangt sind, 
daß unser Volk mehr für die Kunst zu tun vermag, als es in früheren 
trüben Zeiten geschehen konnte, wir auch wieder auf die Stufe uns erheben, 
auf der unsere Väter vor Jahrhunderten standen. Das ist von Herzen 
Mein Wunschl 
26. Januar. (Berlin.) Der Kaiser ernennt den zur Geburts- 
tagsfeier anwesenden Prinzen von Wales zum Chef des 8. Kürassier- 
regiments und begrüßt ihn mit folgender Rede: 
Euere Königliche Hoheit wollen Mir gestatten, daß ich Sie im 
Namen der hier versammelten Kameraden des Ersten Garde-Dragoner- 
Regiments Königin von Großbritannien und Irland, Kaiserin von Indien, 
herzlich willkommen heiße. Das Regiment ist stolz darauf für alle Zeiten, 
diesen hohen Namen der großen Königin zu tragen, der es in ihrer langen 
Regierung vergönnt war, ihr Reich zu Macht und Größe zu führen. Als 
die edle Frau die Augen schloß, hat das Regiment seinem erlauchten und 
ihm stets so gnädig gesinnten Chef durch eine Deputation seines Offizier- 
korps die letzten Ehren erweisen dürfen. Es hat nunmehr die Freude, 
Euerer königlichen Hoheit erlauchten Vater, des Königs Eduard VII. Majestät, 
seinen Chef zu nennen. Der von ihm so lange geführte Titel des Prinzen 
von Wales ist auf Euere königliche Hoheit übergegangen und begrüßen 
Wir Höchstdieselben zum erstenmal als solchen in Unserer Mitte. Auf dem 
Turnierhelm, der das Wappen des Prinzen von Wales ziert, wehen von 
Alters her drei Federn und unter ihnen steht die Devise: „Ich dien“. 
Diese schwerwiegende Devise haben Euere königliche Hoheit vom ersten 
Augenblick an in ihrer vollen Bedeutung kennen gelernt. Denn als wir 
in jenen dunklen Trauerstunden in Osbornes Schloß um die hohe Ver- 
blichene versammelt waren, fesselte unerwartet ein ernstes Leiden Sie an 
das Krankenlager. In den tiefen Schmerz, welcher Euerer königlichen Hoheit 
Herz durchzitterte, mischte sich der Wermutstropfen der Entsagung, welche 
der Verzicht erzeugen mußte, ihr mit uns anderen nicht das letzte Geleit
	        
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