Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 29.) 27
friedigung der konfessionellen Bedürfnisse der katholischen Kirche liege.
Anderseits hegen weite Kreise der protestantischen Bevölkerung auf Grund
geschichtlicher Erinnerungen gegen die Wiederzulassung des Jesuitenordens
lebhafte Besorgnis. Wenngleich unter der modernen einzelstaatlichen Gesetz-
gebung über das Staatskirchenrecht die Stellung der einzelnen Konfessionen
eine wesentlich andere geworden ist, so bleibt doch die Tatsache bestehen,
daß jene Befürchtungen ziemlich tief im Volksgemüt wurzeln. Man wird
diesen Widerstreit der Meinungen auch nicht beseitigen können durch den
Hinweis darauf, daß in einem modernen Staate die verschiedensten ethischen
Richtungen im geistigen Kampfe ihr Gegengewicht und ihren Ausgleich
finden müssen, und daß ein solcher Kampf die natürliche Voraussetzung
für die fortgesetzte Auffrischung des geistigen Lebens einer Nation sei.
Unter solchen Verhältnissen ist es erklärlich, daß die einzelstaatlichen Re-
gierungen auf dem streitigen Gebiete erst nach reiflicher und langer Er-
wägung Entschließungen fassen können gegenüber den Anträgen, welche
eine Abänderung des gegenwärtig bestehenden gesetzlichen Zustandes an-
streben. Es ist zu erwarten, daß sich die verbündeten Regierungen noch
im Laufe der gegenwärtigen Session zu der schwebenden Frage schlüssig
machen werden und wird der Beschluß der verbündeten Regierungen dem
Reichstage demnächst in der bisher üblichen Form mitgeteilt werden.
Abg. Bachem (Z.) bezeichnet die Erklärung als nichtssagend.
29. Januar. (Reichstag.) Beratung des Toleranzantrags.
(Vergl. 1900 S. 161, 1901 S. 94.) Regierungserklärungen.
Staatssekretär Graf Posadowsky erklärt über die in dem Kom-
missionsantrage geforderte Freiheit des Religionsbekenntnisses (1901 S. 94)
und über die Kompetenz des Reiches in dieser Angelegenheit: Der Reichs-
kanzler hat bereits in diesem hohen Hause hingewiesen, daß die Ausübung
des jus circa sacra ein Sonderrecht der Einzelstaaten sei und hierdurch
die Einwirkung der Reichsgesetzgebung zu gunsten der staatsrechtlichen
Stellung der katholischen Kirche daselbst ausgeschlossen bleiben muß. Es
ist indessen nicht zu bestreiten, daß in den Bundesstaaten, wo jedem
Bundesangehörigen das gesetzliche Recht zusteht, in jedem Einzelstaate seinen
gesetzlichen Wohnsitz zu nehmen, und wo ferner eine große Anzahl von
Reichsbeamten den amtlichen Aufenthalt häufig zu wechseln haben, aus
politischen und konfessionellen Gründen es in hohem Grade erwünscht ist,
eine möglichste Uebereinstimmung des einzelstaatlichen Kirchenrechts herbei-
zuführen. Aus diesem Grunde hat der Reichskanzler zunächst sich an die
mecklenburgisch-schwerinsche Regierung gewendet und ist von der letzteren
ein sehr bereitwilliges Entgegenkommen gezeigt worden. Nach einer Mit-
teilung dieser Regierung ist dieselbe entschlossen, durch ein Gesetz — jedoch
vorbehaltlich der näheren Formulierung — den Angehörigen der römisch-
katholischen Kirche die öffentliche Religionsausübung zu gewähren und diese
im wesentlichen in gleicher Weise rechtlich zu ordnen, wie dieses in Preußen
und Bayern zur Zeit geschehen ist. Der Reichskanzler ist entschlossen, den
begonnenen Versuch, die in Deutschland zu ungunsten der katholischen
Reichsangehörigen auf dem Gebiete des Staatskirchenrechtes noch bestehen-
den Ungleichheiten zu beseitigen, im Wege bundesfreundlicher Verhandlungen
fortzusetzen. Er bittet das hohe Haus, den Erfolg dieser Tätigkeit abzu-
warten.
Mecklenburg-schwerinscher Bevollmächtigter Langfeld: In Mecklenburg
stehe eine Verordnung bevor, wonach der katholischen Konfession die
öffentliche Religionsausübung mit allen Vorrechten einer solchen zugestanden
wird. Braunschweigischer Gesandter v. Cramm-Burgdorf weist auf