Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Mebersicht der politischen Entwicelnns des Jahres 1902. 349 
wohnende Tschechen; die Tschechen sind bisher auf diese Forderung 
nicht eingegangen, und ihre Haltung in den letzten Monaten zeigt, 
daß sie auch dem Kompromißvorschlag des Ministerpräsidenten 
(S. 203) nicht günstig sind, und daß sie wenig Neigung haben, 
auf die Verhandlungen, die Körber beim Beginn des neuen Jahres 
berufen will, einzugehen. Wie es gewöhnlich geschieht, schreitet die 
Radikalisierung der Parteien im Kampfe fort. Einerseits gewinnt 
die extreme alldeutsche Richtung an Kraft und entfernt durch ihr 
rücksichtsloses Auftreten die anderen Parteien immer mehr von sich 
(S. 191); auf der anderen Seite bildet sich unter den Tschechen 
allmählich eine radikale Landespartei heraus, die durch ihre un- 
versöhnliche Agitation der bisher herrschenden Partei der Jung- 
tschechen die Nachgiebigkeit erschwert. — Wie in Österreich wird 
auch in Ungarn der Nationalitätenkampf tapfer fortgesetzt; zahl- 
reiche Prozesse gegen deutsche Zeitungen sind angestrengt worden, 
bei vielen Gelegenheiten haben die Magyaren gegen die Deutschen 
demonstriert, und zwischendurch hat es endlich Reibungen zwischen 
Kroaten und Serben gegeben. — Die Forderungen der auswärtigen 
Politik sind von den Delegationen noch immer bewilligt worden, 
eine Vorlage dagegen über Vermehrung der Rekrutenziffern ist in 
beiden Reichshälften auf Widerspruch gestoßen und nicht erledigt 
worden. Die Regierung hat indessen die Absicht der Heeresverstär- 
kung nicht aufgegeben. — Von inneren wirtschaftlichen und sozialen 
Kämpfen endlich ist die Monarchie nicht verschont geblieben. Ein 
Ausstand in Triest war mit solchen Unruhen verbunden, daß 
Militär die Ordnung wieder herstellen mußte, und ein Streik in 
Galizien hat zu scharfer Kritik der Lage der dortigen Landarbeiter 
Veranlassung gegeben. 
Auf der pyrenäischen Halbinsel hat sich nichts Wesentliches 
ereignet. Portugal hat ein Abkommen mit seinen auswärtigen 
Gläubigern geschlossen und seine nahen Beziehungen zu England 
durch die Reise seines Königs nach London aufs neue öffentlich 
bezeugt; Spanien wurde wiederum zerrissen durch Kämpfe mate- 
riellen, kirchlichen und provinziellen Charakters. Aus kirchlichen 
Differenzen ist der Sturz des liberalen Ministers Sagasta herbei- 
geführt worden; er konnte sich nicht entschließen, die von ihm
	        
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