Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Das Lentsqhe Reithh und seine einzelnen Glieder. (März 3.) 45 
daß Deutschland mitgewirkt hätte bei dem Unternehmen, welches zu dem 
Abschluß des Vertrages geführt hat. Von einer solchen deutschen Mit- 
wirkung bei den englisch-japanischen Verhandlungen ist keine Rede. Richtig 
ist nur, daß sowohl die englische wie auch die japanische Regierung uns 
Kenntnis gegeben haben von dem Inhalt des Abkommens nach dem Ab- 
schluß des Abkommens. Das war ein Beweis des Vertrauens, welches die 
deutsche Chinapolitik dank ihrer durchaus friedlichen Ziele gefunden hat, 
und deshalb haben wir für diese Mitteilungen auf das höflichste gedankt. 
Ich konstatiere aber, daß wir von dem Inhalt des Abkommens vor seiner 
Unterzeichnung am 30. Januar keine Kenntnis gehabt haben. Mit anderen 
Worten: Wir haben die Geburtsanzeige des Abkommens erhalten, aber wir 
haben nicht mit der Vaterschaft zu tun. (Heiterkeit.) Das sage ich ohne 
jede Tendenz, sine ira et studio. Ich bin weit entfernt, die Bedeutung 
des englisch-japanischen Abkommens zu verkennen. Es ist das erstemal, 
daß ein hochbegabtes asiatisches Volk vollkommen gleichberechtigt in nahe 
Verbindung tritt mit einer europäischen Großmacht, und es tritt dabei zu 
Tage, daß unsere Zeit im Zeichen der Weltpolitik steht. Gewiß hat das 
scharfe Auge, das Seherauge des Fürsten Bismarck auch die Weltpolitik 
vorausgesehen. Er hat sie sogar eingeleitet und in dieser und in allen 
anderen Beziehungen stehen wir auf seinen Schultern, aber ich glaube, daß 
man die Kreise, welche die Weltpolitik diesseits und jenseits der Weltmeere 
ezogen hat, doch in den 80er oder 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts 
aum für möglich gehalten haben würde. Meine Auffassung der Welt- 
politik hält ungefähr die Mitte zwischen der Defensive des Abg. Richter 
und der Offensive des Abg. Hasse. (Heiterkeit.) Wenn Sie darunter die 
Tendenz verstehen, daß wir überall unsere Finger hineinstecken sollen, so 
bin ich nicht nur kein Anhänger, sondern — dies habe ich tatsächlich be- 
wiesen — der allerentschiedenste Gegner einer solchen Weltpolitik. Wenn 
wir aber, wie es der Frhr. v. Hertling ausgeführt hat, unter Weltpolitik 
zu verstehen haben, daß Deutschland durch die natürliche Entwicklung der 
Verhältnisse gezwungen ist, seine überseeischen Interessen zu schützen überall, 
wo deutscher Erwerbsfleiß und Handel sich betätigen, dann bin ich und 
dann sind die verbündeten Regierungen Anhänger solcher Weltpolitik. Und 
wir sind der Ansicht, daß wir Deutschlands Interessen in allen Weltteilen 
in vernünftigen und möglichen Grenzen schützen müssen. Nun ist die Frage 
aufgeworfen worden, ob und in welchem Tempo die Besatzungsbrigade in 
China vermindert werden könnte. Das hängt ab von der internationalen 
Verständigung zwischen den in China engagierten Großmächten; zwischen 
diesen wird verhandelt. Das hängt zusammen mit der Frage der Auf- 
lösung der Kommission. Ueber diese Auflösung schweben diplomatische Ver- 
handlungen, welche ihrem Abschlusse entgegenzugehen scheinen. Was Deutsch- 
land angeht, so haben wir kein politisches Bedenken gegen die Auflösung 
der provisorischen Regierung. Deutschland hat nur das Interesse einer 
gesicherten Weiterführung der mit sichtlichem Erfolge in Angriff genommenen 
Regulierung des Peiho-Flusses. Der freie Wanderweg zwischen der Mün- 
dung des Peiho-Stroms und Tientsin liegt im Interesse unseres Handels, 
und deshalb haben wir uns bemüht, von der chinesischen Regierung 
Garantien für die Weiterführung der Peiho-Fluß-Regulierung zu be- 
kommen. Im übrigen wird die Besatzungsbrigade in China auch nicht 
einen Tag länger gelassen, wie dies politisch geboten ist. Auch die ver- 
bündeten Regierungen sind von dem Wunsche erfüllt, die Finanzkraft des 
Reiches zu schonen. Wir haben genügend bewiesen, daß wir uns in China 
nicht weiter engagieren wollen, als dies mit den deutschen Interessen ver- 
träglich ist, aber wir bitten, uns auch die Mittel zu gewähren, um die
	        
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